Mittwoch, 23. Dezember 2015

Liebes Christkind....

....Du wirst Dich nicht erinnern - ich bin die, die als kleines Mädchen immer so Briefe an Dich geschrieben hat, die .... naja, man könnte sagen: überdesignt waren. Ich habe unglaublich gern gemalt und gezeichnet, und in der Weihnachtszeit konnte ich mich überhaupt nicht mehr bremsen. Jede nur denkbare Oberfläche wurde mit Tannenzweiglein, Kerzen, Sternen, Krippen, Christbäumen und natürlich mit Porträts von DIR und Deinen Eltern verziert - wenn  ich sie mal so nennen darf.  

Die Wünsche waren recht bescheiden aus heutiger Sicht. Ich habe mir wohl die eine oder andere Barbie-Puppe gewünscht und dann endlich eine Petra bekommen. Das war die Billig-Version, aber immerhin. 

Ich hatte immer schon mehr Vertrauen zu Dir als zu diesem etwas anrüchig erscheinenden alten Kerl aus dem Hause Coca Cola. Was hatte der denn mit Weihnachten und dem Jesuskind zu tun?!

Wobei auch Du mich in einige Verwirrung gestürzt hast. Das Jesuskind war doch ein Junge, Du aber ganz bestimmt ein Mädchen - jedenfalls in meiner Vorstellung. Und zwar ein sanftes, blondes mit blauen Augen und einem leuchtend weißen Nachthemd. Und Flügeln. Natürlich goldenen. Nicht mal meine Oma, der ich in meiner Erinnerung die gesamte Vorweihnachtszeit nicht  von der Seite wich, und die in solchen Dingen Autorität besaß, konnte mir das so  richtig erklären. Stattdessen hat sie mit uns Weihnachtslieder gesungen und unzählige Bleche Plätzchen gebacken. Draußen wurde es langsam dunkel, die ganze Wohnung duftete nach Vanille, und meine Schwester und ich lümmelten auf den Küchenstühlen - zwar mit leicht verstimmten Mägen vom Teig naschen, aber rundum glücklich. Bis meine Mutter von der Arbeit kam - dann wars meist vorbei mit Frieden und Freude.

Kannst Du mir meine Schwester zurückschicken? Geht nicht, stimmt's? Das war mir natürlich klar. Aber weißt Du, je länger sie tot  ist, desto mehr fehlt sie mir. Heißt es nicht, dass die Zeit alle Wunden heilt? Das ist nicht wahr. Es stimmt wohl, dass der Schmerz nicht mehr so schnell und kalt durch mich fährt wie damals. An seiner Stelle ist seither ein mal sanftes, mal heftiges Ziehen - wie von einem schwarzen Loch, dass mich in sich hineinzieht. Als würde ich mich dort hinein stülpen und in mir selbst verschwinden wollen. 

Aber ich habe ja nun mal beschlossen, hier zu bleiben, und mir fehlt vielleicht nicht nur meine Schwester, sondern weibliche Kameradschaft - eine Freundin, mit der ich über dieselben Sachen lachen kann, die weiß, wie ich ticke und das sogar schön findet. Eine, mit der ich einfach mal spontan Kaffee trinken oder ins Kino gehen kann. Und einen Einkaufsbummel machen! Das ist sowas Ur-Weibliches und war eine der letzten schönen Sachen, die ich mit Ute unternommen habe, bevor der Krebs zurückkam und  sie mir geklaut hat.

Also: vielleicht wünsche ich mir eine richtige Freundin? 

Das kriegst Du hin, oder? 

Alles Liebe und danke schon mal,

Deine Karin.




Montag, 21. Dezember 2015

Oh Du fröhliche....

Einkaufen kurz vor Weihnachten ist eh' Stress, und ganz besonders, wenn man gerade aus der Klinik entlassen wurde und alles noch ungewohnt langsam geht. Dazu umschwebt einen die ständige Angst, dass man angerempelt wird und / oder einen jemand auf den frisch operierten Rücken haut. Nicht, dass ich regelmäßig auf den Rücken gehauen werde, aber man entwickelt die seltsamsten Ängste  in so einer Lage. 

Ich habe mich heute in diverse Einkaufs-Etablissements gewagt, weil es einfach nicht mehr zu vermeiden war. Die Speisekammer gähnte leer, und auch das Badezimmer verlangte nach diversen Materialien, die weder anders beschafft werden noch ohne Weiteres selbst hergestellt werden konnten. Dieser Tage wäre Dienst-Personal eine große Erleichterung. Aber erstens sind die Zeiten vorbei, als man welches hatte, und zweitens hätten Leute meines Standes zu gar keinen Zeiten über Butler und Dienstmädchen verfügt. Also völlig sinnfreie Überlegungen. Aber ach - eine schöne Phantasie! 

Stattdessen schleiche ich durch den Drogeriemarkt, froh, dass er nicht allzu voll ist. An der Kasse konzentriere ich mich darauf, meine Sachen zu verstauen und staune selbst zum wiederholten Mal, wie kraftlos und langsam ich mich dabei anstelle. Plötzlich erfasst mich ein Unbehagen. Ich blicke auf und direkt in die hasserfüllten Augen der Kundin, die nach mir in der Schlange stand. Sie starrt mich wirklich an. Und hört auch nicht damit auf, als ich zurück gucke. Mit fragendem Gesichtsausdruck, wie ich annehme. Sie sagt weiterhin kein Wort. Also frage ich nach. Es geifert aus ihrem Mund: "Ich warte drauf, dass Sie E-N-D-L-I-C-H Ihr Zeug einpacken, damit ich meins nach unten schieben kann!"

"Das können Sie ruhig tun, ich werde schon nichts nehmen, was mir nicht gehört. Und übrigens: Ein Wort von Ihnen hätte genügt." Darauf die Frau zur Kassiererin: "So eine Unverschämtheit. Unglaublich, was es für Leute gibt!" Kassiererin: "Fragen Sie mich mal, ich muss noch bis acht Uhr hier sitzen."

Gemäß meinem neu gefassten Vorsatz verschwende ich keine weitere Energie, packe zu Ende ein und verlasse den Markt. Nicht allerdings, ohne mir die  Frau nochmal anzuschauen. Mit ihrer unvorteilhaften Dauerwelle erinnert sie mich an einen Drahthaarterrier - jederzeit bereit zu kläffen und zuzuschnappen. Nur dass die mir bekannten Terrier keinen dunkelroten Konturenstift und orangen Lippenstift kombinieren. Okay, das war jetzt auch nicht besonders nett, aber hier passt das Aussehen einfach so gut zum Verhalten....offenbar gehört sie zu den Ewig-Zu-Kurz-Gekommenen, die der Ansicht sind, die Welt schulde ihnen noch was und solle ihnen auch gleich die Wünsche von den Augen ablesen. 

Mich reizt diese Sorte Mitmensch ganz besonders, und warum wohl? Weil ich mich zu einem Teil wiedererkenne, denn so bin auch ich lange Zeit durch die Welt gestapft. Ich habe sogar diejenigen brüskiert, die es wohl gut mit mir meinten. Ich habe alle für mein Unglück bestraft und nicht gemerkt, dass die Strafe mich selbst am meisten traf. 

Ziemlich sicher sah diese Frau sich in ihrer Einschätzung bestätigt, dass die Welt aus lauter schrecklichen Egoisten besteht, die den größten Spaß daran haben, ihr das Leben schwer zu machen. 

Ich erinnere mich gut, dass man sogar daraus ein bitteres Vergnügen ziehen kann, wenn schon sonst nichts Vergnügliches weit und breit in Sicht ist.

Und ich bin froh und dankbar dafür, dass mir ein paar Menschen geholfen haben, diesen üblen Automatismus zu verstehen und zu durchbrechen. Und langsam kann ich auch annehmen, dass sich ohne meinen eigenen Mut, meine Entschlossenheit und meinen Humor dennoch nichts geändert hätte. 

Sollte es jetzt womöglich doch noch losgehen mit der Selbstakzeptanz? ("Selbstliebe" kann ich immer noch nicht hinschreiben. So, jetzt doch.) 






Donnerstag, 10. Dezember 2015

Heulen und Knochenklappern

Ich habe mal gelesen, dass viele alte Menschen sich vor Angst nicht mehr auf die Straße wagen und lieber zu Hause bleiben. Sie ängstigen sich nicht etwa vor Überfällen oder ähnlich schlimmen Ereignissen, die eher selten vorkommen, sondern fühlen sich unsicher auf den Beinen und zu langsam und verletzlich für unsere rasante Zeit. 

Nach meinen Erlebnissen während der letzten paar Tage kann ich das besser verstehen.

Als Alleinstehende und -gehende finde ich mich unvermittelt in einer ganz ähnlichen Lage wie ein alter und gebrechlicher Mensch, der sich deutlich langsamer und unbeholfener als die meisten Anderen durch die Stadt bewegt. (Schuld ist eine vorwitzige Bandscheibe.) 

Ich kann vor Schmerzen kaum noch laufen und nur wenige Minuten stehen, das Ein- und Aussteigen in Bus und Bahn sind eine Herausforderung. Vor jeder Art von Stufe, auch wenn es nur ein Stüfchen ist - habe ich inzwischen Riesen-Respekt.

Das Single-Leben wird erst richtig spannend, wenn man plötzlich nicht mehr weiß, wie man zum Supermarkt hin- und wieder zurückkommen soll. Oder auch zum Arzt. Oder aus dem Bett.

Anruf beim Arzt, nachdem ich gerade eingeknickt bin, weil mein rechtes Bein spontane Pausen einlegt und mich nicht mehr tragen will. Ich erreiche eine neue Mitarbeiterin. Die ist sehr nett, und doch ärgere ich mich, weil sie ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass "mein Mann" mich ins Krankenhaus fahren und sich auch sonst um alles kümmern werde. Ist das nicht vielleicht ein winziges bisschen ignorant? Der Single-Anteil in meiner Stadt ist ziemlich hoch, aber vielleicht hat die Dame ein festes Bild von dieser Existenzform. In das passe ich mit Ende fünfzig wohl nicht hinein. 

Gleich fühle ich mich wie ein kleines Häufchen Elend, nämlich wieder mal als Versagerin ertappt. Nachdem ich erklärt habe, dass ich keinen Mann habe, und nein, auch sonst niemanden, reden wir endlich über den eigentlichen Grund meines Anrufs. Ich werde vertröstet, soll meine Schmerztabletten weiter nehmen und mich wieder melden, wenn es noch schlimmer wird. Ich kriege aber einen Termin für den nächsten Morgen.

Dann lege ich auf und heule erstmal 'ne Runde. Und dann - es hilft ja nichts - wage ich mich hinaus.

Erste Szene: 
Beim Einsteigen in den Bus ist mein Bein ob dieser Zumutung sofort beleidigt und knickt einfach ein, so dass ich eine gefühlte Ewigkeit im Eingang hocke und nicht weiter kann. Alle Fahrgäste glotzen mich an, bis ich mich an der Haltestange wieder hoch gerappelt habe. Da ich peinlicherweise dabei ein bisschen herumwimmere und mir schon wieder die Tränen aus den Augen schießen, können sie doch wohl kaum annehmen, dass mich gerade in diesem Moment ein spontanes Bedürfnis befällt, im Buseinstieg mein Gymnastikprogramm durchzuziehen? In einer Mischung aus Scham und Wut schleppe ich mich zum nächsten Sitz. 

Zweite Szene:
Auf dem Weg zum Supermarkt bemerke ich eine wachsende Angst vor den übrigen Passanten. Ich kann nämlich nicht - wie sonst - mal schnell ausweichen, und die meisten Leute denken gar nicht daran, ihr "Wegerecht" aufzugeben. Es gilt das Recht des Stärkeren. Schuldbewusst fällt mir ein, wie oft ich selbst mich über "lahme Omas" entrüste, die mich aufhalten, wo ich es doch so eilig und ganz sicher viel Wichtigeres vorhabe als die. Wie schnell sich die Perspektive ändern kann. 

Dritte Szene:
An der Kasse versuche ich so schnell wie möglich alles zu bewältigen, was mir sonst so selbstverständlich von der Hand geht. Heute fühlt es sich an, als würden schwere Gewichte an mir hängen und ich insgesamt in einem mich fest umschließenden unbequemen Anzug stecken, der nur ganz kleine und vorsichtige Bewegungen erlaubt. Natürlich geht es dem Mann hinter mir viel zu langsam, und um das deutlich zu machen, schiebt er mir mit Schwung seinen Wagen in den Rücken. Ich heule vor Schmerz und Schreck und schaffe es wenigstens, laut zu werden anstatt schon wieder davonzuschleichen. Seine Antwort: Ich hab Sie nicht gesehen, was regen Sie sich so auf?

Raus aus dem Markt. Ich bin fix und fertig, halte mich an einem Laternenmast fest und weine vor Wut und Pein. Ich mutiere noch zur Dauerheulsuse.

Ich muss erstmal warten, bis ich mich wieder bewegen kann, dann gehe ich langsam Richtung Bus, denn nach Hause laufen schaffe ich auf keinen Fall. Die Menschen laufen links und rechts an mir vorbei oder mir entgegen - ich werde immer ängstlicher und unsicherer und fühle mich völlig hilflos.  Die Blicke tun ihr Übriges. 

Plötzlich ein kleines Wunder: Ein Mann geht an mir  vorbei, kommt dann zurück und fragt, ob er irgendwas für mich tun könne. Ich bin so gerührt, dass ich erst recht losheule. Darüber muss ich dann schon wieder lachen. Ich bedanke mich und murmele was von Bandscheibenvorfall. Er will mich zum Arzt bringen! Ich sage, ich hätte morgen schon einen Termin und müsse nur noch den Abend irgendwie überstehen. Und dass seine Anteilnahme mir gerade sehr gut getan habe.

Dann humpele ich zur Bushaltestelle - etwas versöhnt mit der Welt.

Zum Abschluss meiner Exkursion stößt mich ein Mann beim Aussteigen aus dem Bus die Stufe runter, so dass ich stürze, und geht dann ohne einen Blick einfach davon. Niemand reagiert, und ich brauche erschreckend lange, um mich aufzurichten und endlich nach Hause zu gehen.

Das ist  das erste Mal, dass ich wirklich Angst davor habe,  alt und hilfsbedüftig zu werden. Wenn dies ein Vorgeschmack darauf ist, denke ich über Notschlachtung nach.

Für die Meta-Ebene reicht es heute nicht - vielleicht denke ich später darüber nach, was dies über unsere Welt sagt, oder über mich, oder ob es überhaupt gar nichts bedeutet und nur mir so erscheint, als würden wir (klar: ich auch!) immer unbarmherziger miteinander umgehen. Und woher das eigentlich kommt und wem es nützt.












Montag, 23. November 2015

Nachts im Museum - Teil I

Ich bin ja so ziemlich das Gegenteil von einem Nerd oder einer Social Media-Expertin. Als ich mich für den Community-Abend im Städel anmeldete, rechnete ich schon halb damit, dass ich sofort als Hochstaplerin entlarvt würde. Aber nein. Stattdessen wurde ich eingeladen. Das verdanke ich Angelika, einer Freundin, ohne die ich gar nichts von diesem Event gewusst hätte, und ohne die ich mich vielleicht gar nicht hingetraut hätte. Außerdem macht sowas zu zweit natürlich mehr Laune.

Schon am Nachmittag wurde ich von meiner ständigen Begleiterin, Mme la Depression, heftig herumgeschubst in der Absicht, mich am Ende zum Absagen zu bringen. Einen Grund nach dem anderen malte sie grausam-genüßlich vor mir aus - ich sei zu alt, zu fett, zu uncool, zu ungeschickt, der Kleiderschrank gebe nichts her, jetzt regnete es auch noch, zum Haare waschen sei es eh' zu spät - aber in einem Akt des Aufbäumens habe ich sie gepackt und zum Schämen in die Ecke geschickt. Die Versuchung war groß ihr nachzugeben, nur dass sie mich schon seit einer Woche in den Klauen hatte und es höchste Zeit war, mich zu wehren.

Also frisch geduscht und geföhnt zum Bus gespurtet und mit Angelika zusammen nach Sachsenhausen gefahren. Bis dahin war ich wieder einigermaßen gefasst und dafür Angelika etwas aufgeregt. Sie kann eine Menge toller Sachen, denkt aber, es müsse alles noch viel toller sein um nicht zu sagen überperfekt. Man kennt das von talentierten Menschen. Und je angespannter jemand in meiner Nähe ist, desto abgeklärter werde ich.

Schon am uns angezeigten  Personal-Eingang sah ich zu meiner weiteren Beruhigung, dass die Gäste ein bunt gemischter Haufen waren, die freudig gespannt auf Einlass warteten.  An der Pinnwand im Gang hing ein Foto von Max Hollein mit der Überschrift "Hausmeister". Das erinnerte mich an die fröhlicheren Momente meiner Studentenzeit. 

Die Organisatoren hatten uns vorher eine Liste von Themen zur Auswahl geschickt, zu denen an diesem Abend Führungen bzw. Vorträge stattfanden. Ich habe mir schon immer gewünscht, einen Blick in die Werkstatt der Restauratoren zu werfen. Nachdem ich mein erstes Studium geschmissen hatte, habe ich ein Weilchen damit geliebäugelt, diesen Beruf zu erlernen. Das war damals total angesagt: Wer nicht studierte oder schnell wieder damit aufhörte, wollte "lieber was mit den Händen" machen. Die Jungs Schreiner, die Mädels Goldschmiedin oder eben Restauratorin.

Als zweites Thema hatte ich mir eine Wanderung durchs Museum ausgesucht - mit vier Bildern durch ebenso viele Jahrhunderte. 

Endlich drin, steuerten wir erstmal die Bar an. Angelika war mir (euronenmäßig) ausgeliefert, weil sie Ihr Portemonnaie zu Hause vergessen hatte. Wenigstens war uns das nicht gleichzeitig passiert. Ich besorgte uns zweimal Weißwein, und dann lauschten wir der launigen Rede eines PR-Menschen. Kurz darauf sollten wir uns bereitmachen für die Gruppenaktivitäten. Huch - so plötzlich! Wenn ich schon für den Wein bezahlt hatte, wollte ich den auch austrinken. Was hieß, ich musste das noch fast volle Glas in uneleganter Eile abkippen. Ich trat also gleich etwas beschickert an, die erste Attraktion zu erleben. 

Meine Gruppe hatte einen türkisen Punkt als Kennzeichen, ich stand schon ein Weilchen am Start, bevor mich jemand drauf hinwies, das sei hier die blaue Gruppe und ob ich sicher sei, dass der Punkt auf meinem Namensschildchen nicht eher türkis....? Ich fühlte mich gleich doppelt ertappt. Einmal von dem netten Herrn und einmal von Sigmund Freud.

Beim richtigen Grüppchen angekommen, stellte ich fest, dass es fast nur aus Männern bestand. Das muss ich wohl laut gesagt haben, denn einer der Männer antwortete: "Das sind alles Wikis. Wikipedia ist in männlicher Hand." Ich hatte natürlich gleich an den kleinen Wikinger gedacht, das aber stumm. Stattdessen entschlüpfte mir was von "Mansplaining", aber die anwesenden Wiki- oder was-auch-immer-Männer waren sehr freundlich zu mir. Die Nachsicht der Mächtigen.

Friedlich wie eine kleine  Schafherde trotteten wir brav hinter unserer Kunstvermittlerin
 her zum ersten Jahrhundertbild.



Dies ist nicht nur der Beweis dafür, dass es bei der Qualität meiner Aufnahmen noch viel Luft nach oben gibt, sondern auch eines der berühmtesten Gemälde der Renaissance, rechts, und unsere temperamentvolle und so kenntnisreiche wie unterhaltsame Kunstvermittlerin, links.

Über den Botticelli und seine wahrscheinliche Entstehungsgeschichte haben wir eine Menge gelernt, ebenso wie über die Forschung zur Identität der porträtierten Dame. Am besten in Erinnerung blieb mir jedoch die Bemerkung, wir Mädels sollten uns angesichts der Haarpracht der Schönen nicht allzu sehr grämen, auch damals habe man nämlich schon mit Extensions gearbeitet. Ha!

...tbc...









Samstag, 14. November 2015

Darkness in the City of Lights

I returned home last night from a meeting with a friend that was full of laughter and good feelings. We had got caught in heavy rains and I was glad to be under my own roof, safe, dry and warm which I didn't really pay much attention to at that moment. As you don't when you go through your day, taking care of all the little things and taking a lot for granted.

As I usually do I checked  into Facebook and noticed a post saying "Why must it be Paris again? So horrible." At first I didn't know what to make of it but then I saw similar posts and finally realized what had happened. I kept the next hours glued to my TV screen, feeling much like I felt 14 years ago watching the news from New York  City. Only this time I was all by myself.

I don't want to describe for the umpteenth time what I assume we all feel - and by this I mean all human beings who basically follow the principle of "live and let live" whatever their faith, sex, nationality etc. - when yet another of those horrid attacks has happened.

I admit that my first reaction was rage, alongside the sadness and desperation, and this was certainly born out of a primitive feeling of wanting to take revenge for the victims. 

Today, however, when I thought about what had occured, my reaction had changed. The rage is still there but it is more directed against the people (politicians mostly) who want to profit from the terror. 

What I noticed going about my day was this: 

Usually on Saturdays, the city is a very hectic place, people rushing here and there and buying stuff as if there is no tomorrow, and not being very patient or considerate with it. Today everything seemed more calm and slow, and not as aggressive.

And these are the feelings I found in myself: I was experiencing a strange placidness and looked at all my fellow men and women with a sort of determined kindness and patience - which never used to be a typical character trait of mine. I strongly felt that I wanted to try everything to keep an open mind and heart, and to practise kindness much more than anything else. I don't really know where this is coming from but I am still feeling that way. 

I am not of Christian or any other religious faith and I don't believe in turning the other cheek, certainly not in these cases. But at this moment I seem to believe in kindness more than I used to do and much more than I even was aware of. It is rather strange to surprise yourself in this way, I can tell you! 

I do believe that terrorists are extremely afraid of love and life, and of their own feelings other than their false superiority and obsession with death. But I rather pity them and only hate the actions they perform. 

I do believe that love is the only way. And I don't care if that sounds corny.



Mittwoch, 4. November 2015

Ballungsgebiet der einsamen Herzen

Meine Therapeutin händigte mir letztens unter gemurmelten Entschuldigungen ein Handzettelchen aus, das für eine Internetplattform warb. 

Die gute Frau weiß, dass ich immer noch häufig sehr einsam bin und mich nach Gesellschaft sehne. Das Murmeln bezog sich darauf, dass sie mich nicht etwa damit ärgern wollte. Denn sie weiß natürlich ebenfalls, dass ich keine Schwierigkeiten habe mit dem, was wir Marketingleute Erstkontakt nennen, nur das Danach ist oft doof - kompliziert - blöd - suboptimal - enttäuschend....was mit der Qualität der Kontakte zu tun hat und mit meinem Talent, immer noch die Leute anzuziehen wie das Licht die Motten, die nur ihre Neurosen an mir austoben wollen. Jaja, das klingt jämmerlich, aber so fühle ich mich eben manchmal. Ich bin mindestens genau so neurotisch wie alle anderen, aber wenigstens sollten die Röschen irgendwie zusammen passen, auf dass das gemeinsame Gärtchen blühe und gedeihe. Das ist doch wohl nicht zuviel verlangt!!!!! Naja - doch - isses wohl....

Ich bin also zunächst für alle Möglichkeiten offen. Ist schon ein Unterschied zu früher, denn da war ich mir für alles zu schade. Jedenfalls bin  ich mit dieser Haltung durch die Welt und das Leben marschiert. In Wirklichkeit, wie meine Seelengeschwister bestätigen können, war das eine Schutzhaltung nach dem Motto: Bevor mich die anderen blöd finden - was sie ja unweigerlich werden, wenn sie mich erstmal besser kennen  - finde ich sie gleich jetzt schon blöd. So kann mir nichts  Schlimmes passieren. Groucho Marx hat das ganz ähnlich gesehen, aber leider habe ich weder so viele lustige Brüder noch so viel Talent.

Dass mir mit dieser  Methode aber auch nichts Gutes passieren konnte, hatte ich damals noch nicht begriffen. Es passierte also ü-ber-haupt nichts mehr, woran ich mich nur noch dunkel erinnere, weil ich meist von Schokolade und Chips umgeben auf der Couch vor  mich hingedämmert habe.

Was wollte  ich noch erzählen? Ah ja: die Website mit der Versprechung, gleichgesinnte Menschen zum Kennenlernen und für gemeinsame Unternehmungen zu finden, hieß (und heißt immer noch): Frankfurt-Mund-zu-Mund.de. Ungelogen! Das Logo zeigt eher "Mund zu Ohr", was mich an Stille Post erinnerte und weniger an Kennenlernen und Verabreden. Aber ich ließ mich nicht abschrecken und registrierte mich, denn ohne Registrierung kam man noch nicht einmal in die Forums-Übersicht.

Neugierig klickte ich alles durch, was nur geboten wurde, und - wie mein Vater manchmal sagt: Det fiel mir uff. Nämlich, dass die Macher der Seite sich zwar mit Vornamen vorstellen, aber sonst sehr wenig über sich verraten. Dass sie etwaigen Kritikern gleich den Wind aus den Segeln nehmen wollen mit Formulierungen wie "für Konstruktives" offen zu sein. Am schönsten finde ich den Schlusssatz der Info: "Sind  die ersten Schritte gemeinsam getan, möchten wir gern fragen, wo eigentlich das Problem ist." Ja, das frage ich mich auch, liebe(r) Tinka und Lars! So heißen die  Initiatoren, und aus den Namen schließe ich mal, dass sie noch jenseits der vierzig sind und sich daher nicht wie unsereins  an bestimmte lieb gewonnene und heutzutage schmerzlich vermisste Umgangsformen erinnern können. Soll ich ihnen das zugute halten? Hab' eigentlich keine Lust dazu. Die Geschichte geht nämlich noch weiter. 

Weiterhin neugierig, hatte ich zunächst Abstand davon genommen, mich umgehend wieder abzumelden, und sogar noch den Newsletter abonniert. Nun wird der Begriff Newsletter schon lange inflationär gebraucht - der wird bei weitem nicht mehr nur dann verschickt, wenn man etwas Neues mitzuteilen hat. Oder auch nur was Interessantes. Abgesehen davon, dass ich mich einfach nicht dran gewöhnen kann, mit "Hallo Karin Hagemeister" angeredet zu werden. Oder wie neulich mit "Liebe Frau Hagemeister, schön, dass Du wieder da bist!"  

Laut aktuellem Newsletter von Frankfurt-Mund-zu-Mund gab es einen Grund zum Feiern - sage und schreibe zwanzig Mitglieder hatten sich registriert. Hurra! Und es gab gaaaaanz viele Veranstaltungen, die mich nach Tinkas und Lars' Meinung bestimmt  interessieren würden. 

Ich die entsprechenden Links angestupst - keiner funktionierte. Also Website angesteuert und nach den Veranstaltungen geguckt. Alles Events, die einfach so in Frankfurt und  Umgebung stattfinden, auch ohne Mund und Ohr oder sonstige Körperteile, die extra darauf hinweisen. 

Jetzt ist es soweit. Ich muss eine Kritik schreiben. Nach Tinkas Ansicht,  so wie ich mir Tinka inzwischen  vorstelle, möglicherweise nicht konstruktiv, sondern eher nörgelnd. Egal,  in meinem Alter nörgelt man eben manchmal. Ich bitte um die Löschung meines Accounts, weil auch diese Funktion auf der Seite gerade nicht funktioniert. Dann - ich kann einfach nicht anders - frage ich, was es mit dem merkwürdigen Namen auf sich hat. Vermutet man in Frankfurt lauter einsame Seelen, die vor Verzweiflung schon halbtot sind und daher per Mund-zu-Mund wiederbelebt werden müssen?  Und seht Ihr zwanzig mühsam  in mehreren Wochen gewonnene Mitglieder in einer Stadt mit fast 700.000 Einwohnern wirklich als Erfolg? 

Die Antwort erinnert mich daran, dass ich Ironie möglichst bleiben lassen soll, außer bei wenigen eingeweihten und intellektuell von mir vorqualifizierten Lesern (uh-oh!).

Tinka herself teilt mir per Ferndiagnose mit, ich sei verbittert und traurig, sie wünsche mir aber alles  Gute. Danke, Tinka, ich kann's gebrauchen. 

Und jetzt schreibe ich meinen Wunschzettel für den Weihnachtsmann. 













Montag, 26. Oktober 2015

...

Never being the one

Watching life from the sidelines
Longing  for connection
Receiving cold advice

Always making nice
I am so happy for you!
Murder on my mind

Yearning for calm
Listening to silence booming
In my empty rooms

Practice what I've learned
Stay in the moment
The moment is forever 
unbearable

Meeting little boys
disguised as men

They need to feed off me

How can they not see
I am starving

Friends  telling  me they love me
I know better

When will I hit the ground
That carries me






Donnerstag, 8. Oktober 2015

Kunst und *schäm*

Eben komme ich von einem schönen Termin:  Ausstellungseröffnung mit den neuen Bildern von Daniel Richter. Und klettere erstmal aus einem Fettnäpfchen, in das ich 'rein geplatscht bin. Mir hat mal jemand empfohlen, mich jeden Tag einmal gründlich zu blamieren. Das würde die Gefahr des Größenwahns bannen. Also heute kann ich diese Aufgabe getrost abhaken. Getrost ist ein  schönes Wort - das hat meine Oma oft gesagt. Ich werde es in Ehren halten und von  nun an anwenden, sobald sich die Gelegenheit ergibt.

Vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen ist übrigens ein Hobby von mir. 

Ich gehe gern zu Schirn-Vernissagen. Ich mag die launigen Reden unseres Kulturdezernenten, der entweder ein begnadeter Schauspieler ist oder sich wirklich für die jeweilige Kunst interessiert. Und ich mag Max Holleins Wiener Idiom und seine Begeisterung, und dass er so schnell im Kopf zu sein scheint, dass er sich beim Sprechen manchmal selber überholt. Außerdem, und das kann man gar nicht genug loben, fangen die immer pünktlich an.

Heute war ich allein und spät dran. Stand mitten im Gewühl der Frankfurter Haute Volée (falls so was existiert) und kriegte kaum Luft, so stickig war es. Nachdem alle Reden gehalten waren, auch Daniel Richter ein paar witzige Worte verloren hatte und Max Hollein verkündete, es sei angerichtet, lief ich mit den anderen gefühlt dreitausend Fans wie ferngesteuert die Treppen zur eigentlichen Ausstellung hoch. Bis ich zur Besinnung kam und auf dem Absatz wieder kehrt machte. 

Es war einfach zu voll. 

Ich also die Treppe wieder herunter und durch eine der Türen in die Rotunde hinaus gewandert. Und da steht Oliver Polak. Und genau die Sekunde,  die ich gebraucht hätte, um es zu verhindern, wird von meinem Kleinhirn einfach übersprungen. Ich gehe direkt zu ihm und spreche ihn an. Und möchte sofort ins nächste Loch kriechen. Wenigstens habe ich kein Gespräch unterbrochen. Stattdessen nötige ich ihn sogar dazu, Pfötchen zu geben. Oh je. 

Ich werde Opfer (naja...Opfer!?) des Phänomens, über das ich mich selbst schon köstlich amüsiert habe. Dieses "Hey, wir kennen uns doch!"-Gefühl, das den Impuls auslöst, einem Promi schnell mal "Guten Tag" zu sagen, sobald man seiner ansichtig wird. 

NEIN  - wir kennen uns nicht! In diesem Fall bin ich ein Fan, und wir sind Facebook-Freunde, aber das ist es auch schon. 

Wie gesagt, Herr Polak hat Nachsicht mit mir gehabt, und dafür bin ich echt dankbar. Was er gedacht hat, möchte ich nicht wissen. Wahrscheinlich hat er gar nichts gedacht - das wäre mir nur recht. 

Vor einigen Wochen habe ich im  Bahnhofsviertel Udo Wachtveitl getroffen. Er kam mir entgegen und lächelte, wie ein seinen Untertanen wohlgesinnter Monarch nach links und rechts grüßend, alle Passanten freundlich an. Einem Penner, der mit seinen Habseligkeiten am Rande des Trottoirs saß, rief er ein lässiges: "Hallo!" zu. Damals konnte ich mich gerade noch zurückhalten, ihm nicht im Vorbeigehen "Ja schau, der Herr Wachtveitl!" zuzurufen. 

Ich fand sein Verhalten etwas seltsam, aber nach heute Abend denke ich: Es könnte eine Präventiv-Taktik sein, um solche wie mich auszubremsen und allen Seiten Peinlichkeiten zu ersparen. Ist  doch recht nett vom Herrn Wachtveitl.

Und damit sag' ich für heute: Pfiat Eich! Oder so.











Mittwoch, 30. September 2015

Courage and Pride? I Beg to Differ

Recently I've watched several videos where young women strip to their underwear in public, put up a cardboard sign with a text, and then put on a blindfold and wait what will happen.

On the sign they are asking people to hug them and / or paint hearts on their bodies because they have overcome their eating disorder and / or have finally learned to accept their body, fate, life or what have you.

The various films got lots of "likes" on Facebook and who would have expected anything different?

I, however, have mixed feelings, to put it mildly.

Here's some of my spontaneous reactions:

First off, you look pretty awkward trying to hug a person or to even really embrace her with a knee-high cardboard between the both of you. 

I don't doubt that it takes courage to undress in public unless  you are an actor or an otherwise exhibitionally enclined person, however, the videos I saw took place in rather safe locations where you could expect people to act in a civilized way. 

I guess the worst imaginable thing happening would have been nothing happening at all, i.e. all the people walking by and not showing any reaction. Which - when a human being gets no resonance whatsoever from other human beings - presents one of the most horrible experiences I can imagine. But that is a different story.

What happened was what you could expect and what the women experimenting surely had hoped for: lots of hugs were exchanged and lots of hearts covered bare skin after a short while.

Soooo. What does it mean? Nothing much, I believe. As soon as the first person crossed the barrier and hugged or painted, what followed was only logical human behavior. 

And the one aspect that keeps bothering me is the following: 

What's with the blindfold?

Maybe the experimenters wanted to put their "target audience" at ease. Maybe they wanted to make it easier for themselves. However, both options seem to contradict the very messages on the signs. 

If you are OK with yourself and your fellow humans why do you have to cover your eyes? Doesn't this turn you into the object that you no longer wanted to be?

Just sayin'.








Samstag, 29. August 2015

Schluss mit lustig

Ich wusste ja, dass das kommt, und heute ist es soweit: Natürlich werde ich von den blöden "Gefüüüühlen" eingeholt, nachdem ich mit meinen Witzchen die Schmetterlinge im Bauch vertrieben habe. Die zarten Wesen hatten gegen schwarzen Humor keine Chance. 

Gestern konnte ich - wie so oft - nicht einschlafen und habe meinen Krimi weiter gelesen. Der sich als Liebesgeschichte entpuppte, in einem weit umfassenderen Rahmen als dem der üblichen Zweierbeziehungs-Romantik. Die letzten Seiten verschwammen vor meinen Augen. Ich hatte schon bei den schlimmen Nachrichtenbildern früher am Abend geweint, einerseits um die Flüchtlinge und andererseits um mein Herz. 

Vieles geht mir gerade durch den Kopf - die Bücherliste der letzten Tage erzählt davon, was da durcheinander purzelt: 

Brené Brown - Verletzlichkeit macht stark
Louise Penny - How the Light Gets In (der Krimi von oben)
Udo Baer - Wo geht's denn hier nach Königsberg?
Marie Kondo - Magic Cleaning
Julia Cameron - The Right to Write
Friederike Mayröcker - ich sitze nur GRAUSAM da

Im Buch von Louise Penny kommt ein Gedicht vor, dass einer der Figuren in der Inspektor Gamache-Serie zugeschrieben wird. Ruth ist eine bejahrte Dichterin, die versucht, alle um sich herum weg zu beißen, und dies natürlich mit großer verbaler Kraft. Die Anfangs-Zeilen werden immer wieder zitiert, und diese Zeilen kannte ich schon aus einer früheren Gamache-Geschichte:

Who hurt you, once,
so far beyond repair
that you would meet each overture
with curling lip?

Als ich das zuerst las, hatte ich das Gefühl, die Dichterin habe ihre Hand sanft auf meine Schulter gelegt. (Dies ist für Dich, Sebastian. Du hast doch gefragt, was Oscar Wilde damit gemeint hat, dass wir lesen, um uns nicht so allein zu fühlen.) War ich nicht auch eine Meisterin der "curling lip"?

Meine ewige Frage ans Leben ist ja genau die - bin ich "beyond repair"? 

Im Buch wird das mit Worten von Leonard Cohen beantwortet: 

Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack, a crack in everything
That's how the light gets in.

Welche Sicht am Ende bevorzugt wird, sagt Louise Penny ja schon mit der Auswahl des Titels. Aber so ausführlich wollte ich das hier gar nicht erzählen. Louise Penny verdient einen eigenen Post.

Warum hat mich gestern die Traurigkeit wieder so nieder geschmettert? "Nur" wegen Liebeskummer? Wegen eines Erlebnisses, das für normale Leute eine alberne Nichtigkeit wäre? Bei einem Abendspaziergang habe ich nachgedacht und bin darauf gekommen, dass ich wieder einmal zuviel geschluckt habe:

Vor zehn Tagen wurde mein Vater als Notfall ins Krankenhaus gebracht. Ich erhielt den üblichen Anruf ohne Angabe, was genau los war und rannte los zur U-Bahn. Déjà vu in schlimmster Form. Von Haus zu Haus brauche ich mehr als eine Stunde und habe also Zeit genug,  mir Schreckliches auszumalen. Und schwanke zwischen Angst und Gefasstheit. Ich denke sogar: Falls Vater gestorben ist, komme ich wohl damit zurecht. Er hatte eine schöne Zeit die letzten Jahre, und vorgestern waren wir noch zusammen und haben fröhlich bei Kaffee und Kuchen über Gott und die Welt geplaudert. (Alice Miller zum Trotz.) 

Als ich in der Klinik ankomme, ist mein  Vater kreuzfidel, wenn auch etwas verwirrt, und flirtet schon wieder mit den Krankenschwestern. Es war nicht der dritte Schlaganfall, sondern ein Schwächeanfall, von dem er sich hier erholen soll. Und natürlich: Wie ich es vor langer Zeit gelernt habe, stelle ich mich blitzschnell auf die neue Situation ein, denn für meine Angst und Aufregung ist hier kein Platz - und auch kein Anlass mehr. 

Bis endlich alles untersucht und geklärt ist, habe ich sechs Stunden im Krankenhaus verbracht und mich um  vieles gekümmert, nur nicht um  mich. Es scheint zudem ein Naturgesetz, dass man auf jeder Station mindestens einen völlig empathiefreien Mitarbeiter findet. Drei davon sind mir in diesen Stunden begegnet. Weil ich meinem Vater nicht schaden will, habe ich den Mund gehalten.

Die nächsten paar Tage fahre ich zweimal in die Klinik, besorge Dinge aus Vaters Wohnung, putze dort ein bisschen, vermittle zwischen Vater und Personal und so weiter. 

Ich höre mir Berichte an über den Pflegezustand und -bedarf meines Vaters. In seiner Akte steht, es gebe nur noch eine Tochter, die sich nicht engagiere, und der alles ziemlich egal sei. Vor lauter Schock und Empörung frage ich gar nicht, woher diese Beurteilung kommt. Ich bin wieder ganz klein und sitze auf der Anklagebank. Versuche die Ruhe zu behalten und erkläre der Sozialarbeiterin, dass mein Vater stolz ist, weitgehend allein zurecht zu kommen, und dass ich ihn nicht bevormunden werde, solange er noch Herr seiner Sinne und vor allem seines Verstandes ist. Die Frau findet meine Einstellung gut, und ich schleiche möglichst unauffällig von der Anklagebank zurück in den Zeugenstand. 

Dann ist mein Vater wieder zu Hause mit der Diagnose, dass soweit alles gut sei. Ich besuche ihn gleich und werde auf dem Weg zu seiner Wohnung von einem extrem dicken Mann angerufen, der von seinem Fahrrad steigt und sich als Herr W. vorstellt. Seinen Namen kenne ich aus Erzählungen meines Vaters. "Ei, isch wohn' doch schon zehn Millione' Jahr' da in dem  Haus!"

Dann beginnt Herr W., mir alles Mögliche aus seinem Leben zu erzählen. Er ist geschieden, und seine Frau will komischerweise nichts mehr mit ihm zu tun haben. "Isch versteh' des net, aber wie Fraue' halt so sind..." Sein Rücken tut dauernd weh. Immerhin hat er noch Kontakt zu seinen Töchtern. Wie gelähmt höre ich mir freundlich alles an und mache ab und zu diese typischen Geräusche, wie man sie halt macht in so einer Situation. 

Dann beginnt er eine Geschichte über meine verstorbene Schwester. "Ihr' Schwester war ja immer Scheiße druff. Die hat nie gegrüßt, bis isch ihr mal die Meinung gegeischt hab'. Und dann hat sie misch mit de' übelste' Ausdrück' beschimpft....". Ich sage leise, dass meine Schwester meist sehr unglücklich gewesen sei. Heute würde ich mir am liebsten die Zunge dafür abbeißen. 

Meinem Vater erzähle ich, dass ich Herrn W. getroffen habe und wir uns  ganz nett unterhalten hätten. Ich bin offenbar eine verlogene Schlampe, genau wie Herrn W.'s Ex-Frau. 

Zu schlechter Letzt kommt noch die Ablehnung meines Widerspruchs beim Arbeitsamt. Unten auf dem kaum verständlichen Schreiben ist eine Anmerkung: "Ihre Meinung ist uns wichtig! Bitte machen Sie mit bei unserer Umfrage." Man wird also nicht nur abgeschmettert, sondern auch noch verhöhnt.  

Über all das habe ich mit niemandem wirklich geredet. Wenn überhaupt, erzähle ich so, dass sich der Zuhörer möglichst gut unterhalten fühlt - siehe oben bei "Witzchen". Meinen Schmerz und meine Sehnsucht, auch mal getröstet und unterstützt zu werden, zeige ich nicht. Ich weiß immer noch nicht, wie das geht. Ich darf niemandem zur Last fallen. Dieser Glaube sitzt tief.

Und immer noch ist es so, dass ich erst mit Verspätung fühle, was alles auf mich eingeprasselt ist. Kein Wunder, dass ich so traurig und erschöpft bin. 

Verletzlichkeit macht stark, nach Brené Brown. Gestern habe noch darüber nachgedacht, dass ich das nicht ganz begriffen habe. Heute frage ich mich: Ist damit gemeint, dass es letztendlich mehr Kraft kostet, sich unverletzlich zu zeigen? Und wie geht es anders?

Die Versuchung ist groß, mein Herz wieder fest zu verschließen und den Schlüssel weit weg zu schleudern. Die Herausforderung ist, gerade das nicht zu tun. 

Einerseits müsste ich dann womöglich wieder ewig lange suchen, bis der Schlüssel gefunden ist. Andererseits ist da die Hoffnung, dass durch die Risse das Licht auch zu mir findet. Sind ja genug da inzwischen. 

Freitag, 28. August 2015

Männerforschung: Vorläufiges Forschungsergebnis

Wieder einmal zeigt sich: jeder tagebuchartige Blogeintrag ist nur eine Momentaufnahme. OK, ist nun keine überwältigende Erkenntnis, sondern einer der Gründe, warum man überhaupt Tagebuch schreibt. Gemäß dem Motto, dass das Leben zwar vorwärts gelebt wird, aber rückwärts verstanden. 

Aber hier geht es ja um meine Forschungsreihe, und das laufende Experiment war entgegen meiner Annahme noch gar nicht abgeschlossen. Der zweite Teilnehmer entwickelte sich leider in rasantem Tempo zu einem nicht mehr ernst zu nehmenden und schon gar nicht begehrenswerten Über-Romantiker. Damit hatte ich nicht gerechnet. Daher musste ich den Versuch vorzeitig abbrechen. Oder eher rechtzeitig - von meinem Standpunkt aus. Der nicht der seine war.

Das klingt jetzt vielleicht lustig, aber im Grunde ist es höchstens tragikomisch. Der Mann war ja eh' schon viel jünger als ich, verhielt sich aber wie ein Teenager. Und konnte gar nicht fassen, dass mich das abgeschreckt hat. Angebetet werden finde ich ungefähr eine halbe Stunde lang amüsant, aber dann will ich 'runter vom Podest und auf Augenhöhe weitermachen. 

Wie es dem Versuchsteilnehmer geht, weiß ich nicht. Immerhin kann er mit seinem Hund schmusen.  

Wie geht es mir?

Ich bin ein bisschen traurig. Ich bin beruhigt, dass ich mich auf meine Intuition verlassen kann. Und dass ich ihr gefolgt bin. Ich bin froh, dass ich nicht wie so oft alle Signale ignoriert und mich ins Unglück gestürzt habe. Und dass ich klar gesagt habe, was ich will und was nicht. Letzteres ist mir früher überhaupt nicht möglich gewesen, ja allein der Gedanke, dass ich etwas wollen könnte oder etwas mit zu entscheiden  hätte, war mir lange Zeit völlig fremd. 

Tja.

Was alle Menschen ersehnen - so glaube ich jedenfalls - nämlich wirklich gesehen zu werden und im Auge des anderen Freude über das Gesehene zu entdecken - und womöglich Neugier auf Mehr: Das wäre mal schön. 

Eine Freundin sagte heute, ich müsse ja nun zumindest einen Kontrollversuch durchführen. Und noch irgendwas von Blindtest und Placebo....

Die Hoffnung  besteht, dass dieses Einzelexperiment nicht repräsentativ war. Ich bin wild entschlossen, meine Forschungen weiter zu betreiben. 

Allez-hopp, mon coeur! 







Sonntag, 23. August 2015

Männerforschung

Ich hatte mal wieder ein Date. Mit langem Vorlauf - daher war ich nicht drauf gefasst, dass es doch wieder nur um "das Eine" ging - das alte Spiel. Wobei das Spiel an sich Spaß macht  - oder wieder Spaß macht, denn ich habe ja sehr lange Zeit nicht mitgespielt. Viele Runden ausgesetzt. Nicht mal von draußen zugeguckt, weil mich das nur unglücklich, manchmal auch zynisch gemacht hat. 

Vielleicht kenne ich auch die neuen Regeln nicht? Allerdings dachte ich, die ändern sich nie. 

Es begann vor ein paar Wochen. Damals habe ich mit einem kleinen Hund geflirtet, worauf das Herrchen sagte: "Und was ist mit mir?" Darauf ich (augenzwinkernd): "Was soll mit  Ihnen sein?" "Mit mir wollen Sie nicht flirten?" "Ich fand einfach nur Ihren Hund sehr süß." "Und mich nicht? Oder falle ich nicht in Ihr Beuteschema?" "Sie fallen eher nicht in meine  Altersgruppe." "Das macht doch nichts, ich bin sehr belesen." Mit Schlagfertigkeit kann man mich schon kriegen. Dazu kam natürlich, dass der junge Mann sehr attraktiv war - sonst hätte die Unterhaltung gar nicht erst stattgefunden. 

Beim nächsten und weiteren zufälligen Treffen haben wir das nette Geplänkel fortgesetzt und ich zunächst standhaft ein geplantes Treffen verweigert. Ich schätzte den Altersunterschied auf mindestens zwanzig Jahre und fragte mich, was das Ganze sollte außer einer netten Trockenübung für den Ernstfall. Wobei - was soll der Ernstfall eigentlich sein? 

Inzwischen habe ich eingesehen, dass ich mit Männern meines  Alters nicht viel anfangen kann, und die offenbar gar nichts mit mir. Dazu kommt, dass jüngere Männer ein für alte Feministinnen wie mich akzeptableres Bild von Partnerschaft haben. Jedenfalls die, die IQ-mäßig ungefähr auf meinem Level sind. Auch da sind Konflikte vorprogrammiert, wenn Mann sehr kluge Frauen beängstigend findet statt anregend. Dazu gehört allerdings ein Selbstbewusstsein, das sich nicht auf Karriere oder den Erwerb von Autos, Häusern, Designer-Uhren oder Pferdepflegerinnen gründet. Ich habe schon oft völlig unterwältigt zugehört, wie einer mit solchen Besitztümern Eindruck machen wollte. Und mir nicht mal glauben konnte, dass mich so etwas nicht interessiert. Ich erinnere mich, wie ein Banker zur Lunch-Verabredung in der Kantine seinen Porsche-Schlüssel auf das Tablett schmiss und mit einem Seitenblick überprüfte, ob ich das auch mitgekriegt hatte. 

Die meisten Beziehungen in meiner Umgebung gehen so, dass Männer sich kurz nach Fixieren des Paar-Status in kleine Jungs verwandeln und die Frauen in Muttis. Entsetzlich. Oooooh - Zynismus-Alarm.

Aber ich schweife ab. Jedenfalls bin ich offen für Unkonventionelles - war ich immer schon, wenn ich so überlege. Und als Konsequenz - und weil ich mir ja ehrlicherweise einen Spielkameraden wünsche - dachte ich: warum nicht? Geh' ich mal mit ihm aus. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er noch nichts gesagt oder getan, was mich hätte zusammen zucken lassen, und das ist schon eine ganze Menge. Geht nämlich schnell bei mir. Braucht nur einer unironisch "Mädels" sagen, und zack. Disqualifiziert. 

Allerdings war ich seit Herausgabe meiner Handynummer mit romantischen SMS überschüttet worden. Meine Antwort: "Nicht so schnell, mein Junge!" in allen nur denkbaren Varianten. 

Vorgestern war es also so weit. Ich bekam eine Rose zur Begrüßung ("keine rote, denn ich will Dich ja nicht bedrängen"), und dann schlenderten wir zu einem nah gelegenen Lokal. Früher war dort ein ganz hübsches, im Lounge-Stil eingerichtetes Restaurant gewesen - jetzt nicht mehr. Bedient wurden wir von einem schlampig wirkenden Kellner, der sein Hemd so weit offen trug, dass wir uns am grauen Brusthaar und diversen Goldkettchen hätten erfreuen können, wenn wir das richtige Zielpublikum gewesen wären. 

Ich war bereit, das komisch zu finden. Ich war außerdem gespannt auf den Abend und hatte mir nichts vorgenommen, außer auf meine Gefühle zu achten. Und meinen Begleiter ernst zu nehmen. Auch beim zweiten und dritten Blick fand ich ihn anziehend. Ich fühlte mich wohl und nur manchmal irritiert von schon sehr ausgefeilten Zukunftsvisionen und voreiligen Liebeserklärungen. Davon abgesehen habe ich mich gut unterhalten - über Literatur, Familie, Jugendsünden, Musik, witzige Erlebnisse, und keinen Moment habe ich mich gelangweilt. Mir kam sogar der Gedanke, dass ich bei diesem Mann jedenfalls nicht klagen könnte, dass er schwer zum Reden zu bringen sei. Im Gegenteil. Es machte Spaß ihm zuzuhören und Gemeinsamkeiten zu entdecken oder gar ein bisschen zu streiten.

Und es war auch schön, mal wieder jemandes Hand zu halten und meine Hände ("Die sehen einsam aus.") gestreichelt zu bekommen. Und über die Bedeutung von Küssen zu philosophieren, inklusive praktischer Übungen.

Mit meiner Alterseinschätzung lag ich einigermaßen richtig, aber inzwischen war mir das egal. Nicht egal waren mir die Beteuerung von ernsten Absichten und Befürchtungen, ich könnte ihn vielleicht nicht ernst nehmen. Es gab überhaupt keinen Anlass dafür, also konnte das nur bedeuten, dass er selbst mit diesen Themen ein Problem hatte. Falls dies eine ernste Geschichte werden sollte, oder wenigstens eine ernst gemeinte, dann waren das schon ein paar Warnsignale. Dies jedenfalls war meine Einschätzung als erfahrene Hobbypsychologin. Ich wollte mir jedoch den Spaß nicht verderben lassen. 

Mit Spaß meine ich nicht, dass ich mich lustig machen wollte oder irgendwie "drüber stehen", amüsiert und distanziert bleiben. So habe ich es früher gehalten, und dabei ist nie etwas Gutes herausgekommen. Heute weiß ich, dass ich einigen Männern und auch mir damit Unrecht getan habe. Ich will - das gehört zu dem Mich-ins-Leben-schmeißen - sehen und fühlen, was passiert, und auch mal ein Risiko eingehen.  

Natürlich wollte er den Abend verlängern, aber ich fand, dass es erstmal gut sei. "Wir haben doch Zeit", sagte ich, und er stimmte mir zu und war scheinbar glücklich, dass ich ihn wieder treffen wollte. 

Er brachte mich nach Hause, und ich versprach mich zu melden,  allerdings erst am übernächsten Tag. Für den nächsten Tag hatte ich Pläne, und ich wollte jetzt nicht plötzlich alles umschmeißen, nur weil ich eventuell vielleicht möglicherweise kurz davor war, mich ein bisschen zu verlieben. So weit, so gut.

Ich hatte viel zum Nachdenken - zum Teil war ich selbst erstaunt über die Ergebnisse. Vielleicht  bin ich doch ganz gern allein? Jedenfalls brauche ich viel Freiraum und Zeit für mich. Ich bin auch viel eher bereit für Kompromisse und nicht mehr so streng oder kleinlich in der Job-Beschreibung für den potenziellen Gefährten. Ist doch keine schlechte Voraussetzung. Ich fand mich ganz in Ordnung. 

Am nächsten Tag schicke ich ihm einen netten Gruß per  SMS - und habe nie wieder etwas von ihm gehört oder gesehen. 

Im Gegensatz zu früher mache ich mir keine Gedanken darüber, was in seinem Kopf vorgeht und versuche gleichzeitig, nicht in meine Vernichtungssätze abzudriften, nach dem Motto: ich ziehe nur Verrückte an etc. etc.

Aber trotzdem: manchmal wüsste ich gern, warum jemand so etwas macht? So viel Aufwand für einen erhofften One-Night-Stand? Oder ging es um eine Wette? Oder um nachträgliche Angst vor der eigenen Courage? 

Seltsamerweise hat  das Ganze mich irgendwie beflügelt, jedenfalls  war ich heute sehr produktiv und gut gelaunt.

Das Leben ist schön und seltsam. Oder um mit meinem Vater zu sprechen:

"Also langweilig wird es hier nie!"















Freitag, 7. August 2015

Oh Boy!

Gerade läuft im Fernsehen "Oh Boy", den ich seinerzeit geschwänzt habe und endlich mal gucken will. 

Ich hab viele solcher Lücken, weil ich sofort trotzig werde, sobald irgendwas sehr gelobt wird. Dann will ich damit erstmal nichts zu schaffen haben, denn ich habe ja einen ganz besonders besonderen Geschmack. Sobald die Trotzphase vorbei ist, entscheide ich dann völlig unabhängig. 

Wunderbarer Schwarzweiß-Film, Tom Schilling in der Hauptrolle, in den anderen Rollen eine ganz erkleckliche Ansammlung meiner Lieblingsschauspieler, Jazz-Soundtrack, spielt in Berlin - sollte sehr vergnüglich sein, aber nicht für mich! 

Ich bin einfach zu sensibel.

Gleich will ich dem Psychologen, bei dem der arme Tom in der ersten Szene den sogenannten Idiotentest absolvieren muss, eins in  die Fresse geben, weil der natürlich ein Fiesling ist und den armen Tom als Opfer für seine machtgeilen Fantasien benutzt.

Dann landet der arme Tom auf der - wie sich noch herausstellen wird - endlosen und vergeblichen Suche nach einem anständigen Kaffee in einer völlig bekloppten Kaffeebar, und die ist so, wie die heutzutage eben sind, mit Auswahl an Fantastilliarden Sorten Kaffee mit unglaublichen  Preisen, die sich der arme Tom nicht leisten kann.

Und dann wird der arme Tom als seelischer Mülleimer von einem einsamen Nachbarn missbraucht. 

Jetzt trifft er sich gerade mit zwei Freunden, der  eine  trägt die Uniform  eines Wehrmacht-Offiziers und beschreibt mit großer Inbrunst seine Rolle in  dem Film, in dem er gerade mitspielt. 

Ich kann das gar nicht mit ansehen! Der arme Tom.

Aber toller Film.

Mittwoch, 5. August 2015

Reminder to Self

Mein Qi fließt sowas von!

Nach gefühlten hundert Jahren war ich endlich wieder beim Sport. "Mein" Verein ist auf der anderen  Seite der Straße, in der ich wohne, und ich hatte und habe vom Balkon aus den täglichen Blick auf die schicke Halle und damit auf die konkrete Mahnung, von der Karteileiche wieder zum aktiven Mitglied zu werden.

Ich wollte schon seit Wochen wieder zum Qi Gong, denn das ist niedrigschwellig genug für Faultiere wie mich, und ich hatte früher sogar Spaß dabei. Vom gesundheitlichen Nutzen mal abgesehen. Und dieser Tage knurpst und zwickt es wieder an den üblichen Stellen - die Motivation sollte doch wirklich ausreichen. Ich verstehe selbst nicht, warum ich Dinge, die mir rundherum gut getan haben, meist nach einer gewissen Zeit wieder sein lasse. Mich aber dann darüber endlos gräme und schäme.  

Ein Grund ist sicher, dass ich sehr lange überhaupt nichts mit meinem Körper zu tun haben wollte. Den spürt man nun mal bei Bewegung, und ich hatte schon als kleines Kind das Betäubungsmittel Essen entdeckt. Essen half, das innere Loch zu füllen und gleichzeitig die "Wunde der Ungeliebten" (Peter Schellenbaum) zu betäuben. Wie jeder und endlich auch ich weiß: klappt nur scheinbar und ist nicht nachhaltig.

Weiterer Grund: zu meiner Schulzeit war die überwiegende Mehrzahl der Sportlehrer dem alten Nazi-Ideal noch innigst  verbunden. Jedenfalls bin ich davon überzeugt, denn ich habe in der Schule fast nur "Drill Sergeants" erlebt - und zwar weibliche - aber keine Lehrer, die uns Kindern Freude an Bewegung und sportlicher Betätigung vermitteln wollten. 

Meine Lehrerinnen hatten für weniger talentierte Mädchen nur Verachtung übrig. Besonders vor Geräten und großen Bällen hatte ich regelrecht Todesangst. Dafür wurde ich ausgelacht und nicht etwa ermutigt, die Angst zu überwinden. Ich war schnell davon zu überzeugen, dass ich ein unsportlicher und unbeweglicher Mehlsack sei. Und zwar völlig ungeachtet der Tatsache, dass ich im Sommer mit den anderen Kindern draußen stundenlang herum getobt bin, dass ich Federball und Gummitwist geliebt und mir in den Ferien das Schwimmen selbst beigebracht habe. Lehrer hatten eben Recht, und mich als unfähig zu erleben, passte nahtlos in mein Selbstbild.

Ich glaube, ich habe erst mit Anfang Dreißig wieder entdeckt, dass Sport Spaß machen kann. Die einzige Ausnahme war immer das Tanzen gewesen, aber das zählte offenbar nicht. Schon erstaunlich, wie man gleichzeitig sehr klug und sehr beschränkt sein kann. 

Bis dahin hatte ich immerhin verstanden, dass ich mit Essen nicht nur meine Gefühle, sondern auch meinen Bewegungsdrang betäubt hatte. Essen hat mir lange als Rundum-Beruhigungsmittel gedient. Irgendwann war ich nicht mehr nur ruhig, sondern schon eher apathisch.

Ich weiß noch, wie seltsam ich mich fühlte, als ich dem Sportverein beitrat. Als würde ich etwas Illegales tun - wahrscheinlich hätte ich dasselbe Gefühl, wenn ich los ginge und Koks kaufen würde. Also nicht das für die Ofenheizung. Und was für Lampenfieber ich hatte vor dem ersten  Kursbesuch. Als müsste ich jederzeit damit rechnen, wieder ausgelacht und gedemütigt zu werden. Womöglich gar davongejagt.  Qi Gong hatte ich mir ausgesucht, weil ich schon ein paar Vorkenntnisse besaß, sonst hätte ich das nie gewagt. 

Ich musste ja alles immer sofort können und durfte keine Fehler machen. Ich durfte mir nie erlauben, etwas ganz in Ruhe und mit den üblichen Rückschlägen zu erlernen. Solche Überzeugungen sind verdammt hartnäckig. Was ich dadurch alles verpasst habe! Aber die Zeiten sind vorbei, und ich bin froh darüber. 

Ich mag ja den Spruch "Mir ist nichts mehr peinlich." So weit bin ich noch lange nicht, und hundertprozentig erstrebenswert kann ich es nicht finden. Es gibt durchaus Dinge, die einem immer peinlich bleiben sollten. Wenn das nicht mehr der Fall ist, sollte man zum Arzt. Für mich gilt der Spruch jedoch schon weitgehend bei Albernheiten und Ungeschick-lichkeiten. Was für eine Befreiung. 

Also Qi Gong,  von heute an wieder jede Woche, und das Schwimmbad lockt ebenfalls. 

What will be next?!

(Für meine Freundin Karin - unsere Freiburger Plauderstunden hatten Wirkung :-)