Donnerstag, 14. Januar 2016

Reha die zweite - erste Woche

Ich hatte vergessen, wie bürokratisiert hier alles ist, und wie schlecht die Kommunikation funktioniert. Nach meinem anfänglichen Triumph (neues Zimmer) bin ich unsanft daran erinnert worden.

Dazu kommt noch der Eindruck, dass ich zumindest einen Teil meines Gehirns bei der Ankunft an der Rezeption abgegeben habe. Ich bin jedenfalls so zerstreut, dass ich zum Beispiel jedesmal aufs Neue auf meinen Medikamentenplan gucken muss, weil ich mir partout nicht merken kann, wann ich was von der ganzen bunten Kollektion einnehmen soll. 

Reha geht ungefähr so: Man bespricht beim Erstkontakt mit dem Arzt, was alles an Anwendungen (Fachbegriff!) sinnvoll und gewünscht ist, und danach wird ein Behandlungsplan erstellt. Meine fröhliche Ärztin hatte mir versichert, dass ich trotz Zimmerwechsel ihre Patientin bleiben würde. Ein paar Tage später stellte sich das als erste von vielen Fehlinformationen heraus. Ich hatte mehrfach versucht sie zu sprechen, und hätte wen ganz anderes verfolgen müssen. Tja, dumm gelaufen, Zeit verloren.

Und warum wollte ich sie sprechen? Weil mein Behandlungsplan auf den ersten Blick sehr bescheiden, um nicht zu sagen: löchrig aussah. Mein wichtigstes Anliegen, nämlich psychotherapeutische Gespräche, tauchte überhaupt nicht auf, und ebenso wenig solch reha-typische Dinge wie Moorpackungen, Massagen, Entspannungsübungen. Jaja, lacht nur, Ihr Ahnungslosen. Wer schon mal monatelang unter höllischen Schmerzen gelitten und sich während dieser Zeit kaum bewegt hat, weiß, wie bedeutend solche Maßnahmen sein können. 

Zudem kann so ein Kliniktag sehr lang werden, besonders in der Anfangszeit, wenn man noch auf der Suche nach seiner passenden Krabbelgruppe ist.

In dieser Zeit rennt man sowieso mit starrem  Blick auf den Plan von einem Termin zum nächsten, und wer nicht schon einmal hier war, verirrt sich unweigerlich dabei oder wartet ewig auf den Aufzug. Von denen immer mindestens einer außer Betrieb ist. Dabei wechseln sie sich ab, damit jeder mal drankommt. Gutes Team, die Aufzüge.

Gestern knieten denn auch respektvoll mehrere Techniker vor einem der Fahrstühle nieder und hantierten mit einem geheimnisvollen Gerät mit Monitor und unzähligen Kabeln nebst einigem anderem Handwerkszeug. Der Erfolg dieser Anrufung bleibt abzuwarten.

Da ich das Verirren und Zurechtfinden im Haus überspringen konnte, hatte ich genügend Kapazitäten frei, mich um die Wunschliste meiner Anwendungen zu kümmern. Mit teilweisem Erfolg. Inzwischen habe ich gefühlte 35 neue Pläne bekommen, und jedesmal, wenn ich einen auf meinem Zimmer finde, sehe ich erstmal keinen Unterschied zum vorherigen. Dieses Phänomen wurde mir von Mitpatienten  - alle mindestens durchschnittlich intelligent - bestätigt. Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als Zeile für Zeile zu vergleichen, bis wir endlich die Neuerung gefunden haben. Heureka! Hier in unserem Paralleluniversum zählt das schon als mittelgroßes Erfolgserlebnis.  

Während, so stelle ich mir vor, ein Teil meines Gehirns sich irgendwo hinter der Rezeption in einem dunklen kuscheligen Ablagekörbchen ausruht, wird der verbleibende Rest also durchaus trainiert. Denn auch die Termintaktung erfordert eine Entwicklung geeigneter Strategien, damit ich immer rechtzeitig von A nach B komme und zwischendurch auch noch an den Mahlzeiten teilnehmen kann. Die sind aus Gründen der Inter-Patienten-Kommunikation nämlich extrem wichtig fürs seelische Wohlgefühl. 

Zu diesem essenziellen Thema mehr im nächsten Bericht. 

Jetzt muss ich erneut auf die Jagd nach meinem Stationsarzt gehen und ihn nochmals  ein bisschen  nerven. Das mache ich so lange, bis ich endlich meinen Wunschplan in den Händen halte. Das Schöne ist: er ermuntert mich sogar dazu. Ist für mich, die schon früh gelernt hat, sich nichts zu wünschen, auch eine gute Übung. 

Nachdem ich vorhin schon bei meinem fröhlichen Afrikaner war und dieser mir erklärt hat, dass heute Donnerstag und nicht, wovon ich ihn zu überzeugen versucht hatte, schon Freitag ist - freitags gibt's offiziell die neuen Pläne - ist dies heute ja erst mein zweiter Gang zum Stationszimmer. Alles im grünen Bereich. 

Und nachher geh' ich ins Schwimmbad und spiele mit einer Nudel. 






Sonntag, 10. Januar 2016

Reha, die zweite - Anreise

Jetzt bin ich tatsächlich schon wieder hier. Diesmal im Winter, nach einem Aufenthalt im Herbst und einem im Hochsommer. Ich habe nicht vor, alle Jahreszeiten durch zu exerzieren. Aber meine Bandscheiben kümmert das nicht weiter.

Trotz guter Vorsätze und genügend Zeit habe ich noch bis zur letzten Sekunde wahllos irgendwelches Zeugs in meinen Koffer geschmissen und war dann bei Ankunft des Taxis völlig k.o. Allerdings nicht vom Schmeißen, sondern vom Koffer in den Aufzug und an die Straße schaffen.

Immer noch und immer wieder bin ich überrascht von meinen geringen Kräften und der tiefen Erschöpfung. Wie schnell man so einen Zustand doch vergisst, wenn alles wieder gut funktioniert. Oder "regelrecht", wie die Ärzte sagen. Das habe ich bei der Befund-Erhebung im Krankenhaus gelernt. Da stand auch, dass ich orientiert und kooperativ sei. Stimmt, jedenfalls meistens.

Nun sitze ich also in der Rezeption und warte, dass ich auf mein Zimmer gebracht werde. Das Zimmer ist DAS entscheidende Moment für die Erfolgsaussichten in den nächsten drei oder sogar vier Wochen. Ein Pfleger holt mich ab, stemmt meinen Koffer und die Reisetasche und begrüßt mich herzlich. Er stammt - so rate ich mal - aus einem afrikanischen Land und ist ansteckend guter Laune. Auf seinen Vorschlag, mitsamt Gepäck erstmal ins Stationszimmer zu gehen und die "Aufnahme" zu machen, muss ich wohl unfroh geguckt haben, denn er fragt gleich, ob ich doch erstmal das Zimmer sehen möchte. Ich sage: "Bitte! Wenigstens einen kurzen Blick", und er versteht. Wir gehen also einen der Gänge 'runter, er schließt eine Tür auf und bittet mich herein. Ich schau mich einmal um und möchte am liebsten wieder abreisen. Er lächelt mich verständnisvoll an. 

"Schrecklich, ich weiß. Ist noch nicht renoviert, aber was soll man machen? Sie können ja gleich bei der Visite fragen, vielleicht haben Sie Glück und können wechseln." 

Er breitet eine Menge Formulare vor mir aus und erklärt - und sofort ist mir die ganze Prozedur der Aufnahme wieder gewärtig. Wenn ich das nicht alles schon kennen würde, wäre ich jetzt sehr verwirrt und bestimmt überfordert. 

Dann verabschiedet er sich mit den Worten: "Frau Doktor kommt gleich; so lange ruhen Sie sich einfach ein bisschen aus. Wenn Sie irgendwas brauchen, klingeln Sie. Dann komme ich sofort."

Ich setze mich auf das Bett - ein klassisches altes Krankenbett - und der Raum scheint jede Sekunde hässlicher zu werden. Meine Enttäuschung fixiert sich schließlich auf den alten Röhrenfernseher im Mikroformat. Ob es wohl ein Opernglas dazu gibt? Was für eine Frechheit. Ich lege mich auf den Rücken und starre an die Decke. 

Trotzig verweigere ich das Auspacken. Die Visite lässt auf sich warten. Ich döse vor mich hin, zwischendurch immer wieder von Frust und Empörung gepackt. Dann überlege ich erfolgversprechende Sätze, mit denen ich die Ärztin dazu bringen könnte, mir ein anderes Zimmer zu geben.

Zwischendurch melden sich diese kleinen Wut-Dämonen mit dem Vorschlag, die Ärztin anzubrüllen oder in der Rezeption einen Aufstand zu machen. Klar - das wird bestimmt klappen!

Jetzt könnte die endlich mal auftauchen. Die Mittagszeit hat auch schon angefangen. Der Pfleger schneit herein und meint, ich solle ruhig zum Essen gehen. Er würde Bescheid sagen, dass die Ärztin auf jeden Fall noch zu mir kommt.

Nach dem Essen dauert es tatsächlich nur noch einen Moment, bis die Ärztin klopft. Sie war mir bei meinem letzten Aufenthalt schon aufgefallen, und zwar durch ihre fröhlich Ausstrahlung und ihren leicht punkigen Kleidungsstil.

Sie begrüßt mich, und ich sage: "Bevor wir richtig anfangen: ich finde das Zimmer ganz schrecklich. Ich weiß nicht, wie ich hier auch nur drei Tage aushalten soll, geschweige denn drei Wochen." Ich lege einen leicht verzweifelten Ton in meine Stimme. "Was finden Sie denn so schlimm?" "Die ganze Atmosphäre ist so bedrückend", und dann sage ich blöderweise was über den Fernseher. "Das ist nun leider kein medizinischer Grund für einen Wechsel." Ich will schon enttäuscht verstummen, als mir auffällt, dass ihre Mundwinkel ein bisschen zucken.

"Wissen Sie, wenn ich hier bleiben muss, wird meine Depression sich rasant verschlimmern." "DAS ist ein medizinischer Grund!" ruft sie lobend. "Einen kleinen Moment, ich frage bei der Verwaltung, und wenn es was gibt, dann schauen wir uns das gemeinsam an, und wenn es Ihnen auch noch gefällt, dann ziehen Sie um." 

Ich kann es kaum fassen, aber erstmal muss ich natürlich Option Nr. 2 sehen. 

Zusammen mit dem fröhlichen Afrikaner ziehen wir im Gänsemarsch in die nächsthöhere Etage und landen in einer Parallelwelt. Meine Ärztin erzählt: "Hier ist alles schon renoviert, und unser oberster Boss liebt intensive Farben, und Rot und Gelb haben's ihm scheinbar angetan. Sieht bisschen aus wie ein Edelpuff, wenn Sie mich fragen." Sie hat nicht unrecht. Wohlwollend würde ich das Design als eigenwillig bezeichnen. Der Pfleger schließt eine Tür auf. Nun kommt der entscheidende Augenblick. Ich trete ein und bin sofort wie erlöst. Mein neues Zimmer ist viel freundlicher und hat ein modernes Duschbad - und einen mittelgroßen Flachbildschirm-Fernseher.

Alles wird gut.