Dienstag, 5. November 2019

Filmtipp LARA (Spoiler-Alarm)

Corinna Harfouch spielt ja häufig Frauen, mit denen man sich lieber nicht anlegt. Schon ihre spröde Stimme ist dazu angetan, andere auf Distanz zu halten. 

Die Titelrolle im neuen und lang erwarteten Film "Lara" von Jan-Ole Gerster ist ihr also wie auf den Leib geschrieben. 

Wie in Gersters Erstling "Oh Boy" spielt die Geschichte an einem einzigen Tag - dieser Tag ist Laras 60. Geburtstag, und ihr Sohn Viktor (Tom Schilling) gibt am Abend ein Konzert, bei dem sein erstes selbst komponiertes Werk uraufgeführt wird. 

Lara beginnt den Tag, indem sie in kühlem grau-blauen Dämmerlicht von der Couch aufsteht, auf der sie offenbar geschlafen hat, zum Fenster ihrer Hochhauswohnung geht, es öffnet, einen Stuhl ans Fenster schiebt und auf diesen Stuhl steigt. Dann klingelt es an der Wohnungstür.

Vor der Tür stehen zwei Polizisten: Die ehemalige Beamtin wird als Zeugin für eine Hausdurchsuchung gebraucht. Kein Fleurop-Strauß, keine Glückwünsche für Lara. 

Danach widmet sie sich der Vorbereitung auf Viktors Konzert. Ihr Sohn ist ein erfolgreicher Pianist, und sie war seine Lehrerin. Das bedeutet jedoch nicht, dass die beiden diesen besonderen Tag zusammen begehen. Wie uns anhand vergeblicher, fast schüchterner Versuche von Lara, ihren Sohn telefonisch zu erreichen, schnell klar wird, ist die Beziehung kompliziert. Überhaupt braucht Gerster nur wenig Aufwand, um uns zu zeigen, wie die Dinge liegen - manchmal genügen ein paar Worte, manchmal ein Entgleisen der Gesichtszüge, und wir verstehen.

Wir verstehen zum Beispiel, dass Lara alle Menschen, die ihr auch nur ein wenig Freundlichkeit zeigen, wegbeißen muss, weil sie das nicht ertragen kann. Wir verstehen, während wir sie einfach nur schrecklich finden und ihre Aktionen uns zuweilen entsetzen, dass sie zutiefst verzweifelt ist. Dabei aber immer elegant und souverän aussieht. Abgesehen von ihrem Gesicht.

Wir erfahren, dass sie selbst seinerzeit ihr Klavierstudium abgebrochen hat, aber erst später, warum sie so entschied. Und dass diese Entscheidung womöglich falsch war.

Nicht nur wegen des Musik-Themas musste ich an Hanekes "Klavierspielerin" denken. Um dann in einer Kritik zu lesen, dass Gerster tatsächlich seit jeher ein großer Haneke-Verehrer ist, und dass dieser ein bisschen Schuld daran trägt, dass wir so lange auf seinen nächsten Film warten mussten. Offenbar hatte Haneke ihm für "Oh Boy" großes Lob gespendet und erwähnt, wie gespannt er auf den nächsten Wurf sei. Und das hat Gerster nicht etwa angefeuert, sondern gelähmt. 

Das Warten hat sich mehr als gelohnt. Fast unerträglich intensiv erzählt und bis in die kleinsten Nebenrollen toll besetzt und gespielt, hat mich lange kein Film so beeindruckt. 

Bis zuletzt hält die Spannung an, wie dieser Tag enden wird. Alles scheint möglich, vom zu Beginn angedeuteten tragischen Ende bis zur neuen Hoffnung.  

Es dauert quälend lange, bis die Erlösung kommt. Aber sie kommt.