Montag, 20. Oktober 2014

Venting oder: Isch hab 'et lahme Dier

Nun muss es doch mal sein. Ich erinnere mich an mein Versprechen, dass dies kein Jammer-Blog werden sollte, aber heute erlaube ich es mir. Ihr seid also gewarnt.

"Venting" ist Englisch für "Das muss jetzt einfach 'raus", und der Spruch mit dem "lahmen Dier" stammt von einer früheren Kollegin aus dem Rheinland. Hochdeutsch etwa: Mir geht es gerade nicht so richtig gut. Ich könnte eigentlich heulen. Das besagte Tier kommt wohl von "Lamentieren", und über solche sprachlichen Leckerbissen kann ich mich sogar noch leise freuen, wenn sonst nicht mehr viel geht.

Der Anfang des Desasters: Ich wurde falsch informiert bzw. schlecht beraten, als ich nach meiner Rückenoperation zu einer Reha-Kur durfte. In meiner Lage habe ich die Reha gern in Anspruch genommen. Ich wusste ja, dass ich mich direkt, nachdem ich wieder arbeitsfähig wäre, bei der ARGE melden und Hartz IV beantragen müsste. Erstens war ich wirklich noch lange nicht fit, und zweitens steckte mir der letzte Jobverlust noch sehr in den Knochen. Auch in Herz und Hirn, sollte ich wohl hinzufügen.

Noch im Krankenhaus erklärte mir die Dame vom Sozialdienst, dass für die Reha-Kosten meine Rentenversicherung zuständig sei, und ich statt Krankengeld für diese Zeit Übergangsgeld erhalte. Den Antrag stelle die Reha-Klinik automatisch - ich müsse mich um gar nichts kümmern. Da mir schon der Gedanke an Kofferpacken und Organisieren den Schweiß auf die Stirn trieb, habe ich das natürlich gern gehört. Und geglaubt. Dass ich ein bis drei Fragen hätte stellen sollen, ist mir erst viel zu spät aufgegangen.

Hat schon mal jemand versucht, die Rentenversicherung in Berlin zu erreichen? Natürlich wollte ich schnellstens etwas über die Bearbeitung des Antrags erfahren. Erst war ich ganz angetan von der kostenlosen Service-Hotline. Von "hot" kann allerdings keine Rede sein. Nach gefühlt hundertfachem Anhören der Botschaft, man freue sich über meinen Anruf, aber ich möge es doch bitte ein anderes Mal versuchen, war ich nicht mehr so gut gelaunt. Ich humpelte also zum Klinik-Sozialbüro, schilderte der Mitarbeiterin meine Lage, woraufhin sie ein offizielles Fax schickte mit der fetten Überschrift "DRINGEND" und dem Hinweis, dass ich die Reha abbrechen müsse, wenn nicht bald das Übergangsgeld käme. Was ich damals auch noch nicht wusste: wie dieses Geld berechnet wird. Sonst wäre ich umgehend nach Hause gefahren. Auf das Fax kam übrigens tatsächlich eine Antwort. Nach acht Tagen. In der stand sinngemäß, man wisse von gar nichts.

Die ganze Geschichte zog sich bis nach meiner Rückkehr nach Hause hin. Meiner Erholung war das nicht zuträglich. Endlich wieder daheim, erhielt ich einen Bescheid und die Nachzahlung von knapp 800,00 Euro für vier Wochen. Das war mein einziges Einkommen, wohlgemerkt! Schluck.

Weil mein Krankengeld unter Hartz IV-Niveau lag, hätte ich schon vor der Reha Anspruch auf eine sogenannte Aufstockung (ergänzendes Hartz IV) gehabt. Aber große Angst vor dem Gang zum Amt und der Entwürdigung hielten mich ab. Ich wollte unbedingt allein zurechtkommen. Deshalb waren meine winzigen Ersparnisse inzwischen aufgebraucht. 

Nach dem ersten Schock über den Bescheid fragte ich mich, wie ich nun meine Rechnungen bezahlen sollte, von anderem ganz zu schweigen. Ich fand heraus, dass ich vorsorglich die Aufstockung hätte beantragen können. Nachträglich sei nun nichts mehr zu machen. Ich hätte also etwas anleiern müssen, von dem ich  gar nicht wusste, dass es existiert und dass es dringend nötig gewesen wäre. Es gibt ja diesen Satz "Unwissenheit schützt nicht vor Strafe", aber wofür sollte ich bestraft werden? Ich hatte nichts falsch gemacht und mich auf vermeintlich sachkundige Menschen verlassen. Genau das war ein Fehler....und  der kostete mich einige hundert Euro. 

Ich habe schon viele schlaflose Nächte deswegen gehabt, aber außer Selbstvorwürfen nichts zustande gebracht. Nun muss ich doch zum "Amt", fürchte mich vor der Verachtung durch die Mitarbeiter (dabei sind die vielleicht gar nicht so schlimm - schlimmer ist die Selbstverachtung), und zum ersten Mal in meinem Leben versuche ich die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass ich mir bei der Frankfurter Tafel Lebensmittel für Bedürftige abhole. Dieselbe Frankfurter Tafel, für die ich mal ehrenamtlich Pressearbeit gemacht habe. So dreht sich die Welt und ich mit ihr.

Es fällt oft schwer zu unterscheiden, welchen Anteil die Depression und welchen die gerade sehr schwierigen Lebensumstände jeweils an der momentanen Verfassung haben. Oder ob das Eine das Andere verursacht. Oder umgekehrt. Soweit ich es sehe - und das bestätigt der Austausch mit meinen Stammesmitgliedern - ist das wie die Frage nach Henne und Ei. Im Grunde ist es Wurscht, was zuerst da war. Beides bedingt einander, glaube ich. Und kann sich unglücklicherweise gegenseitig verstärken. Ich kann tatsächlich wenig für meine desperate wirtschaftliche Situation, gebe mir aber trotzdem die Schuld daran und schäme mich auch noch dafür.

Und das hat natürlich doch etwas mit der Depression und der trüb gefärbten Selbsteinschätzung zu tun. Noch während ich mühsam versuche, das Allernotwendigste zu tun, flüstert mir Kaa* die immer gleichen Sätze ins Ohr: "Da siehst Du's wieder: Du bist eben eine Verliererin; es lohnt sich gar nicht, immer wieder von vorn anzufangen. Sieh' es endlich ein - Du bist zu blöd für diese Welt. Du bist nicht wie die anderen, die normalen Menschen. Es ist ja auch alles viel zu anstrengend. Dich braucht niemand, und es wird Dich auch niemand vermissen." Und so weiter und immer so weiter. 

Dann ist zunächst erste Hilfe angesagt und das heißt, den Gefühlswirrwarr aufzudröseln. Angemessen sind unter anderem: Empörung, Schreck, Wut, even-tuell auch leichte Panik.
Unangemessen: Schuld und Scham. Aber auch: Mordlust gegenüber diversen Amts-personen.
Das hätten wir schon mal.

Inzwischen höre ich mir Kaas Gezischel an, glaube aber nicht mehr jedes Wort. Und wenn es mir doch allzu überzeugend scheint, warte ich einfach ab. Na gut - so einfach ist es immer noch nicht. Aber die Erfahrung sagt: diese absoluten Tiefs gehen auch vorbei. Und dann finde ich wieder gute Gründe weiter zu wurschteln. Mein Kopf kann sich wieder heben, mein Blick kann sich weiten und die kleinen und großen Schönheiten wahrnehmen, die die Welt ja doch für mich bereit hält.  

Nachtrag: 
Nun hat auch meine Bank gemerkt, dass ich kein Gehalt mehr beziehe, sondern Krankengeld - etwas für Banken offenbar Anrüchiges. Sie hat mir darauf umgehend meinen bescheidenen Dispokredit gekündigt. Damit mir bloß nicht langweilig wird.













Freitag, 17. Oktober 2014

Communication Fail (Gutmensch-Anekdote)

Da mein kleines Haustier* mich seit einiger Zeit wieder intensiv in seinem zärtlich-grausamen Würgegriff hat, fällt mir alles, was die meisten Menschen täglich mit links erledigen, unendlich schwer. Sogar das Bloggen, an das ich mich nun langsam wieder gewöhnen will. 

Als Wiedereinstieg eine kleine Geschichte vom Geben und Nehmen.

Nachdem ich mir inzwischen erlaube, auch virtuelle Gemeinschaften zu genießen, da sie ein bisschen gegen die Isolation helfen, bin ich in einigen Facebook-Gruppen aktiv geworden. Wobei diese Aktivitäten gelegentlich zu Begegnungen in der wirklichen Welt führen - also IRL, was nicht bedeutet, dass wir uns in Irland  treffen - LOL, was ich in meinem Alter vielleicht nicht mehr benutzen sollte. Aber WTF, stimmt's?

Zu Begegnungen kommt es zum Beispiel, wenn ich etwas verschenke. Was ich gern und oft tue, da ich für weniger Müll und mehr Freude auf der Welt bin. Auch wenn ich derzeit nur eine Winzigkeit dazu beitrage. In den letzten Wochen biete ich meist Klamotten an. Ich schrumpfe inzwischen der übernächst-kleineren Konfektionsgröße entgegen, und deswegen macht es mir doppelt Freude, schöne Teile aus meiner Garderobe abzugeben. Einen großen Sack voll habe ich letztens wie ein verfrühter Nikolausi zu einem Obdachlosen-Treff geschleppt. Da Frauen, die auf der Straße zurechtkommen müssen, aber wenig Verwendung für Ausgehkleidung haben, verschenke ich die über meine  lokale Free Your Stuff-Community.

Womit wir wieder zu Facebook zurückkommen.

Erste Szene
Posten eines Fotos von einer Abendhose im Marlene-Stil, gut erhalten, detailliert beschrieben. Die erste Interessentin meldet sich bald, der ist die Hose aber zu kurz.

Intermezzo: Warten.

Pause - will denn niemand die schöne Hose haben?

Zweite Szene
Eine Frau, die ich schon öfter in der Gruppe gesehen habe, schreibt: "Interesse." Kurz und bündig. Nicht charmant oder freundlich, aber ist nicht weiter schlimm. Es fällt mir trotzdem auf. Ich frage, wann sie die Hose denn abholen möchte - ich würde ihr meine Adresse per Personal Mail senden.
Gesagt, getan.
Sie: Morgen Abend passt ganz gut, es soll ja morgen nicht regnen, wenn Du verstehst, was ich meine.
Ich: Ehrlich gesagt: nein. Morgen passt mir aber nicht so gut, wie wäre es mit Montag ca. 18 Uhr?
Sie: Ja, das klappt. Da komm ich vom Hof, dann kurz nach Hause und zu Dir.
Ich: (denke) Was fürn Hof? (schreibe): Alles klar, dann also bis Montag. Bitte sag aber auf jeden Fall Bescheid, wenn es nicht klappen sollte, damit ich nicht umsonst warte.
Sie: Jaja, aber ich habe das jetzt im Hirn.
Ich: (denke) Aha.

Dritte Szene

Montag, ca. 18:30 Uhr. Geduld ist nicht gerade meine Stärke...außerdem hat mich eine heftige Erkältung erwischt.

Ich: Hallo, kannst Du mir sagen, wann Du kommst, denn ich bin inzwischen krank und möchte gern zurück ins Bett. Wir hatten ja 18 Uhr vereinbart.

Sie: Ja, sorry, ich bin aufm Hof und komme nicht vom Klo runter.
Ich: So etwas nenne ich "too much information", aber egal. Du kannst also heute doch nicht kommen? Ist nicht schlimm - die Hose wird ja nicht schlecht. Ich hebe sie für Dich auf. Melde Dich bitte, wenn Du sie abholen kannst.
Sie: War keine böse Absicht oder so. Dumm gelaufen. Tut mir leid - wirklich - sorry (usw usw ad infinitum). Also bis dann. War echt nicht böse gemeint, sorry. Ja, dann melden wir uns gegenseitig.
Ich: (denke) Wie bitte?!?!

Ende.


Muss ich noch erwähnen, dass ich nie wieder etwas von der Dame gehört habe?


Merke: es ist manchmal komplizierter als man denkt, jemandem eine Freude zu machen.



* Ich habe meine Depression inzwischen "Ka" getauft, weil ich sie schon einmal als Schlange beschrieben habe, und weil sie ganz ähnliche Taktiken anwendet wie ihre Namensvetterin aus dem "Dschungelbuch".