Samstag, 5. März 2016

Ich bin im Kino gewesen (na, kennt jemand das Zitat?)

Um Zitate geht es nämlich - unter anderem. Ich habe mir endlich Hail, Ceasar angeschaut. Die Coen-Brüder zu lieben ist ja nun nichts Besonderes.

Aber wie sehr ich das Kino an sich liebe, hatte ich beinah' vergessen. 

Anfang der 50er Jahre dreht das große Capital Studio einen prächtigen Sandalenfilm à la Ben Hur, in der Hauptrolle Baird Whitlock (George Clooney) als römischer Legionär, der Jesus begegnet und wahrscheinlich nach dem Abspann den Job wechseln wird. Nicht Whitlock, wohlgemerkt, sondern der Römer.

Eddie Mannix (Josh Brolin), der sowohl im  Film als auch im Film alles zusammen hält, ist der Studio-Troubleshooter und wird kalt erwischt, als Clooney während der letzten Drehtage einfach verschwindet. Entführt - wie sich herausstellt - von einer Study Group aus lauter kommunistischen Drehbuchautoren (hatte McCarthy doch Recht?), die in einem luxuriösen Strandbungalow das System aushebeln wollen. Was erstmal recht unpolitisch darin gipfelt, dass sie Lösegeld für Clooney verlangen. Die Truppe steht unter der Führung eines weiteren  Filmstars (Channing Tatum als Kombi aus Gene Kelly und dem jungen Frank Sinatra), der sich als überzeugter Parteisoldat entpuppt und zuletzt von einem russischen U-Boot abgeholt wird. Beim Sprung vom Ruderboot verliert er das inzwischen gezahlte Geld bzw. rettet er lieber seinen neurotischen kleinen Hund. Liebe! (siehe unten)

Der Koffer mit den 100.000 Dollar versinkt im Meer, während ein weiterer Star (Scarlett Johansson als Esther Williams-Reminiszenz) in einem weiteren Handlungsstrang wie schaumgeboren aus demselben auftaucht, um dann aus großer Höhe mitten in einen Busby-Berkeley-Badenixen-Reigen wieder hineinzuspringen. Tumult und Durcheinander? Allerdings. 

Johansson ist schwanger, weswegen ihr Nixenkostüm sie arg zwickt, ganz im Gegensatz zu ihrem Gewissen. Verheiratet ist sie nämlich genau so wenig wie ganz sicher, wer der Vater ihres Ungeborenen sein könnte, und auch das soll Brolin irgendwie in Ordnung bringen. 

Darüber hinaus muss er sich um einen jungen, eher akrobatisch als rhetorisch begabten Westernstar (Alden Ehrenreich) kümmern, der vom Studioboss plötzlich als echter Schauspieler in einem Melodram eingesetzt wird. Vom Sattel in den Salon - nicht einfach für den armen Jungen. Sein neuer Regisseur ist Ralph Fiennes als näselnder, zunächst sehr geduldiger Brite. Die Lösung findet sich in einem extremen Eindampfen des Textes. Wenn der junge Mann selbst auch fürs Reden wenig Talent hat, wird er noch von sich reden machen. Er ist nämlich derjenige, der den Entführern auf die Spur kommt und in einem beherzten Einsatz Clooney an seinen Arbeitsplatz zurückschafft.

Ständig auf Brolins Fersen ist Tilda Swinton in einer Doppelrolle als Klatschkolumnen-Zwillingsschwestern. 

Zwischendurch findet er immer noch Zeit für einen Sprung in den Beichtstuhl, wobei selbst der Pfarrer seufzend anmerkt, so oft sei nun wirklich nicht vonnöten.

In der SPIEGEL-Kritik hieß es sinngemäß, der Film habe zwar großen Unterhaltungswert, aber keine Seele. Dem widerspreche ich ganz entschieden.

Selbstverständlich hat der Film ungeheuren Witz. Die Matrosen-Szene mit Channing Tatum als Solist z.B. ist großartig. Zunächst ist sie eine schwungvolle Tap Dance-Nummer zu einem Song, in dem das Ende des Landurlaubs beklagt wird und ganz besonders die Tatsache, dass es leider auf See "no dames" gebe. Die Nummer steigert sich bis zu übermütigen Pas de deux (würde man beim klassischen Ballett sagen), bei dem die schmucken Matrosen feststellen, dass Mann auch ohne "dames" jede Menge Spaß haben kann. Der Witz besteht natürlich auch darin, dass diese Szene im echten Hollywood von 1951 niemals möglich gewesen wäre. Und dass Channing Tatum einen schwulen Kommunisten spielt - das Schlimmste, was man sich in Hollywood damals wohl vorstellen konnte. Jedenfalls, wenn es öffentlich wurde. Was es unter keinen Umständen durfte, enter Eddie Mannix.

Der unterdessen dafür sorgt, dass das illegitime Kind von Scarlett Johanssen einen Vater bekommt. Allerdings unbeabsichtigt, denn zunächst soll sie ihr eigenes Baby adoptieren. Was wiederum auf das Schicksal von Loretta Lynn anspielt, die genau das in den 30er Jahren durchmachen musste. In dieser Geschichte jedenfalls heiratet die junge Frau, die nicht weiß, wer der Vater ihres Babys ist, spontan einen zuverlässigen Mann mit Namen Joseph. Und alles wird gut. Falls sie nicht nach Ägypten flüchten müssen.

In einer Szene ganz zu Anfang muss Baird Whitlock eine Textänderung lernen: aus "passion" wird "ardour" (bedeutet dasselbe, klingt aber gesprochen weniger ... leidenschaftlich). Clooneys Figur neigt nicht gerade zu tiefen Überzeugungen (jedenfalls, bis er den Kommunisten /Jesus in die Hände fällt), aber man sieht und hört ihn unwillig vor sich hin murmeln, dass "passion" ja wohl das bessere Wort gewesen wäre. Interesting, no? 

Und gehören etwa nicht Liebe und Leidenschaft dazu, wenn man für den besten Filmschnitt gar sein Leben aufs Spiel setzt? Indem man als Cutterin bei der Arbeit nicht nur raucht, sondern auch noch einen langen Schal trägt, der ähnlich dem von Isadora Duncan seiner Trägerin (Frances McDermond) fast zum Verhängnis wird, weil er sich in der Maschinerie verfängt. 

Geht es etwa nicht um Liebe und Glaube, wenn Mannix auf ein tolles Jobangebot verzichtet zugunsten des von ihm zu hütenden Flohzirkus? Wir müssen nur sein Gesicht sehen, während er dem Head Hunter dabei zuhört, wie der die Filmindustrie schlecht macht. Weil er so ein netter Kerl ist,  sagt er nicht sofort ab, aber wir wissen schon längst, dass er den Filmzirkus nicht aufgeben kann.

Sogar seine Ehefrau versteht das. Völlig entgegen dem Klischee von der ehrgeizigen Frau, die ins größere Haus und für ihre Kinder die bessere Schule will, zeigt der Film das Ehepaar Mannix in einer überraschend kleinen und bescheidenen Küche beim friedlichen Schwatz über Kinder und Karriere. Kein Funken Bosheit oder schwarzer Humor in dieser erstaunlichen Szene, die als - natürlich sorgfältig inszenierter - Einbruch der "wirklichen" Welt gelten kann. Bleibt nur noch anzumerken, dass Mannix' Familie auch ohne sein Troubleshooting funktioniert und ihm das nicht übel nimmt. Es reicht vollkommen,  dass er ein anständiger Kerl ist, der ab und zu zum  Essen nach Hause kommt.

Es gäbe noch unzählige wunderbare und komplexe Zitate und Anspielungen zu beschreiben. Dass Herbert Marcuse als Angehöriger der Kommunistentruppe seine eigenen Texte rezitiert zum Beispiel, oder dass Channing Tatum im Ruderboot mit seinen Genossen auf der Fahrt zum U-Boot aussieht wie George Washington bei der Überquerung des Delaware. Es macht aber viel mehr Vergnügen, die selbst zu entdecken. 

Wie ist das nun mit der Seele von Hail, Ceasar? Natürlich geht es um Liebe. Liebe zum Kino und all seinen verrückten Handwerkern, vielleicht zum Kino wie es einmal war, als es noch mit einfachen Mitteln große Geschichten erzählt hat und dabei ohne Computer auskommen musste. Als die Stars noch Geheimnisse hatten, ja: haben mussten, und nicht via Twitter oder Facebook vorgaben, sie seien genau wie wir.

Am schönsten verkörpert von George Clooney, der sich in einem Interview darüber freute, von den Coens zuverlässig immer als Idiot besetzt zu werden. Man könnte auch sagen: als reiner Tor, dem wir glauben, was er uns erzählt. Auch wenn er es selbst nicht versteht.