Freitag, 28. April 2017

Thank you for the music

Was so ein albernes Facebook-Spielchen auslösen kann!

Gestern ging es darum, eine Liste mit 10 Live Acts zu erstellen, auf denen man gewesen war - einer davon sollte geschwindelt sein.

Ich hatte die kleine Liste schnell beisammen, und daraufhin entspann sich ein Austausch mit den drei Leuten, die versuchten, den Fake zu finden. 

Ein unerwartetes Glücksgefühl, als mein alter Freund Michael mit nur einem Fehlversuch die Lösung nannte, und ich vice versa bei seiner Liste. Ich glaube, von sowas dermaßen gerührt zu sein - dazu muss man einfach ein gewisses Alter erreicht haben. 

Mein aller-aller-erstes Konzert habe ich im Alter von dreizehn Jahren erlebt. Frühere Opern- und Operettenbesuche zähle ich jetzt mal nicht mit. Wobei die auch toll waren. Als ich in die zweite Klasse ging, habe ich "Die Schneekönigin" als Kinderoper gesehen, und zwar die ganze Zeit Händchen haltend mit meinem ersten Freund. Der war schon älter - siebeneinhalb. War das aufregend.

Genau so wie "Der Freischütz" mit meinem Vater: Der Jägerchor bekam so viel Szenen-Applaus und "Da capo"-Rufe, dass der große Leiterwagen mit den Jägern drin wieder auf die Bühne zurück gekarrt wurde, und diese die ganze Nummer nochmal von vorn schmetterten. (Da capo heißt von vorn - nur, falls Sie das nicht wussten. Also wohl eigentlich "vom Kopf her", glaube ich. So könnte man etwa sagen: Der Fisch stinkt da capo. Aber zurück zum Thema...

Und zwar in das Jahr 1971. Meine Oma hatte mir das Ticket für damals unglaubliche 35 Mark spendiert, so dass ich mit  meiner besten Freundin ....*Tusch* Neil Diamond live in der Jahrhunderthalle sehen konnte. Der war mein absoluter Schwarm. 

Wir hatten die besten Plätze - erste Reihe Mitte. Als Vorgruppe  spielten Truck Stop, und der Sänger sang für mich ganz allein. Schließlich stand er nur ein  paar Meter entfernt mir direkt gegenüber und guckte mir die ganze Zeit in die Augen. Also bitte! 

Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass das Publikum zum überwiegenden Teil aus amerikanischen Soldaten bestand. Die waren mir zwar von Kindheit an vertraut. Wir wohnten ganz in der Nähe einer großen Kaserne, und die lässigen GIs gehörten seit eh und je zum Straßenbild. Und jetzt sollte ich mein Idol mit ihnen teilen. Das betrübte mich ein winziges bisschen. Aber nur, bis Truck Stop endlich die Bühne verließ, das Licht an und dann wieder ausging, und Neil Diamond wahrhaftig zum Greifen nah vor uns stand. 

Ekstase ist der einzig passende Begriff.

Nach knapp zwei Stunden (ja, Konzerte dauerten damals lange) wurden wir von der großen Schwester meiner Freundin mit dem Auto abgeholt. Dieser Tag war so bedeutend, dass ich bei ihr übernachten durfte. Ich hatte extra mein schönstes, selbst genähtes Nachthemd eingepackt. Und weiß noch ganz genau, wie es aussah: Ungefähr wie ein folkloristisches Abendkleid aus geblümtem Flanell. Komischerweise kann ich mich an unser Outfit fürs Konzert nicht mehr erinnern. 

Die Schwester fragte gönnerhaft, wenn auch nicht unfreundlich: "Na, wie war's?" Wir konnten  aber gar nicht sprechen vor lauter Überwältigung. Mit unseren Riesen-Postern als Beweis saßen wir stumm im Auto und taumelten dann ins Bett. Wo wir natürlich kein Auge zu tun konnten.

Später, viel später habe ich als Setzerin und Filmtipp-Schreiberin bei unserer Stadtzeitung gejobbt und nebenbei studiert. Der Musikredakteur streute alle Einladungen zu Konzerten, die er nicht wahrnehmen konnte oder wollte, großzügig unter die Kollegen, und in dieser Zeit habe ich tolle Leute auf der Bühne gesehen.  Und einige Anfänge von späteren Weltstars. Einmal kam unser Volontär von einem Pressetermin mit einer jungen Band aus Athens, Georgia. Hellsichtig verkündete er, die würden mal ganz groß. Wurden sie.

Dann gibt es Live-Erlebnisse, die sich einfach durch besondere Umstände eingeprägt haben.

Eines Abends an der Bar erzählt mir ein Freund, er habe Karten für John Lurie ergattert und freue sich schon wie wild auf das Konzert. Ich so: Mensch, da wollte ich auch hin, aber es war ausverkauft! Der Freund war nicht von der Sorte, die mir dann zum Trost noch einen ausgegeben hätte, sondern von der, die sagt: "Ach, so ein Pech!" und dazu fies grinst.

Ein paar Tage später bin ich im Urlaub in New York, bei meinem damals besten Freund. Wir machen Pläne für den Samstagabend. Schon wieder ins  Kino? Och nee. Wie wärs mit Live-Musik? Ich fahre die Spalten der Clubs und Bars entlang und sehe: John Lurie. Schnappe mir das Telefon. Ja, es gibt noch Karten. Nein, viele sind es nicht mehr. Klar, ich reserviere Euch zwei. Bis heute Abend dann! Bye. Und abends steh' ich in der Knitting Factory und denke: Ätsch.

Eigentlich wollte ich ja erzählen, wie es kam, dass ich die Smiths live gesehen habe, obwohl erst alles dagegen sprach. 

Also lieber Till, das war so:

Meine Liebe zu einer bestimmten Musik oder Gruppe entstand oft durch Erstkontakt beim Tanzen.Als ich zum ersten Mal "Handsome Devil" in der Freitagsdisco hörte, war es um mich geschehen. Als wir die Ankündigung eines Smiths-Konzerts entdeckten, war klar: Da müssen wir hin. 

Diesmal ohne ältere Schwester als Chauffeur und mit einer anderen besten Freundin, aber mindestens genau so aufgeregt wie damals, machte ich mich auf den Weg. Und dann standen wir fassungslos vor einem Plakat mit der Information, dass die Schmidts leider ihre Deutschlandtour abgesagt hätten und man das Eintrittsgeld erstatten würde. Das Eintrittsgeld! War uns sowas von egal. 

Den Tränen nah zogen wir davon und ertränkten unseren Kummer in Sekt. Und hörten dazu alle unsere Smiths-Platten.

Kurze Zeit später beschlossen wir einen Spontan-Kurzurlaub in Hamburg. Ohne besonderen Grund oder Anlass - das machten wir damals so. 

Wir besorgten uns Jugendherbergsausweise, schmissen ein paar Klamotten ins Auto, und los gings. In der JH angekommen, wurden wir von einem jungen Mitarbeiter an der Pforte gleich aufs Netteste betreut. Er wollte wissen, was wir abends vorhätten - ob wir vielleicht aufs Smiths-Konzert in die Markthalle gehen wollten. Er wüsste, wo wir noch Karten bekommen könnten. Einen Moment dachten wir an ganz gemeine Veräppelung, aber warum hätte er sowas machen sollen? Wir sofort ins Auto gesprungen und zum Vorverkaufsbüro gerast, wo wir DIE LETZTEN ZWEI TICKETS erstanden. I kid you not.

Es war ganz einfach, es war, also es war .... so:


Niemals werde ich dieses Konzert vergessen. Wie wird es wohl sein, wenn wir mal so alt sind, dass wir uns nur noch an die wichtigen Dinge erinnern - also die, die schon ewig her sind und uns was bedeutet haben. Musik zum Beispiel.

Werden wir - wie die alte Dame, die ich mal in einer Dementen-WG betreut habe - unsere alten Lieder erinnern? Mit ihr musste ich - ach was, DURFTE ich - stundenlang "Ausgerechnet Bananen" singen. 

Werden wir plötzlich loslegen "Punctured bicycle, on a hillside deso-ho-late" und vor uns hinkichern, wenn die Pfleger hastig Text und Melodie googeln, um uns bei Laune zu halten?

Ich kann mir Schlimmeres vorstellen.