Samstag, 4. Februar 2017

Kein Filmtipp

Man darf den Machern von About Ray wohl unterstellen, dass sie einen engagierten, vielleicht sogar aufklärerischen Film zu einem aktuellen Thema drehen wollten. 

Es geht um einen Transgender-Jungen, d.h. noch ist er ein Mädchen, in der sowieso schon schwierigen Lebensphase, an die wir alle so schön-schreckliche Erinnerungen haben - stimmt doch, oder hat jemals eine/r eine glückliche und unkomplizierte Pubertät erlebt? Eben. Ray ist ein sehr niedlicher Junge. Wie sollte es auch anders sein, da er von Elle Fanning gespielt wird. Ich gebe zu, ich sah trotz breitbeinigem Gang und kerligen Gesten doch immer nur die kulleräugige, stupsnäsige Elle Fanning in Jungsklamotten. 

Die Handlung beginnt im Sprechzimmer eines Arztes, der Ray und seine Familie über die Hormontherapie informiert, die sich dieser so sehnlich wünscht, um endlich der zu werden, als der sie sich fühlt. 

Eins ist von Anfang an klar - Rays Familie und der Film sind auf seiner Seite. Sein Empfinden wird nie in Zweifel gezogen; das Problem ist ein anderes: 

Der Vater muss die Einwilligung in die Therapie mit unterzeichnen. Rays Eltern leben aber schon ewig getrennt und haben keinerlei Kontakt, und weil alle alles richtig machen wollen, geht es los mit dem Trubel.

Rays Familie besteht aus seiner allein erziehenden Mutter (Naomi Watts), seiner lesbischen Großmutter (Susan Sarandon) und deren Lebenspartnerin. So ganz allein erziehend ist die Mutter in Wirklichkeit nicht, denn Oma hat eine Menge mitzureden - allein schon, weil Mutter und Ray in ihrem Haus wohnen. Wie das in solchen Filmen so ist, handelt es sich um ein schönes altes Haus in Manhattan oder meinetwegen Brooklyn (das ist mir leider entfallen), in dem genauso gut die Familie Hustvedt-Auster wohnen könnte. Alles erzählt von Geld und Kultur.

Rays Mutter ist eine dieser Frauen, die viel zu große, sehr kuschelige Pullover tragen, deren Ärmel mindestens die halbe Hand bedecken, und die man allgemein als "verhuscht" bezeichnet. Sie ist natürlich ungeheuer liebenswert und bemüht, aber im Verhalten ihrer Mutter gegenüber eher Rays Altersgenossin. Außerdem hat sie eine Affäre mit einem viel jüngeren Mann dunkler Hautfarbe. Der Grad ihrer Political Correctness ist lobenswert hoch. Einen Beruf hat sie auch: Wir sehen sie manchmal etwas halbherzig an hübschen Illustrationen (wir vermuten mal: für Kinderbücher) herumzeichnen.

Susan Sarandon ist ... eben Susan Sarandon in der Rolle einer Mutter, die unsereins in den Matrizid treiben könnte. Nicht aber ihre Filmtochter. Die ist halt verhuscht. Und muss dankbar sein für Asyl und Mietersparnis. Als Großmutter ist Ms Sarandon allerdings Bombe. 

Rays offizieller Vater lebt mit neuer Familie sehr ländlich in einem Haus am Waldrand, nach dem sich jeder Frank-Lloyd-Wright-Fan sämtliche Finger einzeln abschlecken würde. 

Rays Mutter macht sich auf die Suche nach ihm, der, wie sich später herausstellt, gar nicht der leibliche Vater ist. Dies ist dessen Bruder, also Rays vermeintlicher Onkel, mit dem die Mutter eine Affäre hatte. 

Nun folgen allerlei Verwicklungen, und unterdessen wird das Formular vom vielen Herausholen, Anstarren und Verstauen immer knitteriger. 

Einmal rollt es auf dem Rücksitz des Wagens hin und her, als Rays Mutter vor dem Haus ihres Ex der Mut verlässt und sie zunächst umkehrt. Der Regisseur ist ganz verliebt in dieses Bild, weswegen es uns etwas ärgert, weil es allzu laut "Symbol, Symbol!" ruft.

Dass die Geschichte auf ein Happy End zusteuert, steht von vornherein fest - das ist einfach gegeben bei dieser Art von Film, und dann sollte der Weg dorthin wenigstens vergnüglich und/oder spannend sein.

Stattdessen war ich schon nach einer Viertelstunde verärgert und fragte mich, woher das kam.

Unter anderem daher, dass Ray, kaum haben wir ihn ein bisschen kennen-gelernt, in die Kulissen verwiesen wird, damit die übrigen Figuren sich entfalten können. Und wie die sich entfalten!

Sie tun dies auf eine Weise, dass ich mich fragte, warum trotz des vermuteten Anspruchs im ganzen Film kaum Erwachsene  vorkommen. Komödien sind zwar darauf angewiesen, das genug Missverständnisse, Verirrungen, Verstocktheit (schweigen wo man dringend sprechen müsste etc.) vorkommen, damit das Spiel gelingt, aber eine Komödie hatte ich eben gerade nicht erwartet.

Es wirkt, als habe den Regisseur entweder der Mut verlassen, wirklich Rays Geschichte zu erzählen, oder als habe er sich bei dem kontroversen Thema Mary Poppins zum Vorbild genommen, nachdem bittere Medizin mit einem Teelöffel Zucker besser schmeckt. Aber was soll hier die Medizin sein? 

Nahezu das ganze LBGTQ-Spektrum abzudecken macht noch keinen progres-siven Film.

Am Ende erinnerte mich das Ganze an eine Mischung aus Oscar Wilde und Woody Allen, mit all den plötzlich auftauchenden Verwandten. Hier versammeln sich sämtliche Beteiligten zum Schlussbild eben in einem netten Restaurant statt einem englischen Landhaus. 

Was mir noch auffiel?

Die Hetero-Männer kommen recht gut weg in dieser Geschichte; das war zunächst ungewöhnlich und sympathisch, bis mir klar wurde, wie geschickt fies es eigentlich ist angesichts der hysterisch-hibbeligen Chaos-Mütter.

Der eindeutige Beweis, dass Ray ein echter Junge ist: Im Videoblog über sein tägliches Trainingsprogramm verkündet er stolz eine deutliche Gewichts-zunahme. 

About Ray ist im Grunde reaktionär in bunten modischen Gewändern, gezuckert mit ein bisschen Gekicher, egal, was die Macher vielleicht ursprünglich vor hatten.