Donnerstag, 4. Juli 2013

Freude und Leid

Ich bin eine alte Krimi-Tante. Manchmal muss ich mich regelrecht zwingen, was "Anständiges" zu lesen. Aber zur Zeit verschlinge ich die Thriller von Ann Cleeves mit ihrer Detektivin Vera Stanhope. Die ist mir schon deshalb sofort ans Herz gewachsen, weil sie als groß und breit und etwas schlampig beschrieben wird. Natürlich hat sie auch eine zarte Seite, aber Ihre Erscheinung nutzt sie, um Ihre Gegner in Sicherheit zu wiegen und dann überraschend scharfsinnig zuzuschlagen. Sie wird natürlich unterschätzt - was soll so 'ne dicke, grobschlächtige und nicht mal gut angezogene Frau schon draufhaben. Ich würde ihr gern eine Typberatung vorschlagen, und sie würde sich mit Händen und Füßen und bissigen Bemerkungen dagegen wehren. 

Sei dem wie es sei - die Protagonistin ist wunderbar kratzbürstig, die Charaktere durchweg interessant, die Geschichten psychologisch verzwickt, und nicht zuletzt spielt die Landschaft - das englische Northumberland - eine wichtige Rolle. Man kriegt direkt Lust, sich die herbe Gegend am Meer selbst mal anzusehen. 

So habe ich gerade einen der auftauchenden Ortsnamen gegoogelt. Das erste Ergebnis: der Ort ist fiktiv. Ich bin dann aber auf einer wunderbaren Website für Krimifans gelandet: Wheredunnit. Abgeleitet von Whodunnit, womit der klassische Krimi beschrieben wird, und was sich mit "Wer war's?" übersetzen lässt. In diesem Blog werden die Handlungsorte erkundet - ob authentisch oder fiktiv. Eine schöne Idee. Ich habe mich erst nur kurz umgeschaut und viel Lesefutter über einige Lieblingsautoren gefunden, etwa über Stieg Larsson, Hakan Nesser, Val McDermid und andere. An einer Stelle bedauert die Autorin, dass offenbar so wenige deutsche Krimis ins Englische übersetzt werden. Die Frau war mir sympathisch, und ich wollte gern mehr erfahren.

Dann fiel mir auf, dass der Blog im Jahr 2009 endet. Das allein ist ja nichts Besonderes. Aber als ich dann in einem der letzten Posts las, dass die Autorin eine Krebsdiagnose erhalten hatte und über diese Erfahrung in einem neuen Blog berichten wollte, wurde mir schon etwas bang. Ich schaute mir ihren "Cancer Blog" an, und auch dieser endet 2009. Der letzte Eintrag lautet "Just my rotten luck".

Natürlich weiß ich nicht, ob meine Phantasie zutrifft. Aber ihre Berichte über den Verlauf der Krankheit geben keinen Anlass zum Optimismus, und der Krimi-Blog sieht aus wie einer, der mit Begeisterung und Sorgfalt gestaltet wurde. Der also nicht einfach so aufgegeben wird.  

Das Internet führt zu seltsamen und überraschenden Erfahrungen. So lese ich den Krimi-Blog mit Freude und Bedauern und trauere um eine mir völlig unbekannte Frau.  





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