Montag, 24. Juni 2013

Heimkehr

Endlich darf sie wieder nach Hause. Sie ist schon ganz aufgeregt. Eine Woche ohne Mutti und Vati und Oma und Opa  ist doch ganz schön lang. Vor allem, wenn man keinen Besuch kriegt. Aber sie sollte ja vernünftig sein. Sie sei doch schon groß. Seit die kleine Schwester da ist, ist sie die Große. Und das stimmt. Sie ist schon vier Jahre und drei Monate.

Das Beste an der Mandeloperation war, dass es jeden Tag Eis zum Nachtisch gab. Leider gab es danach noch so eklige saure Tabletten. Aber die hat sie immer schnell hinters Bett fallen lassen. Sie stellt sich vor, wie eine Putzfrau die vielen kleinen rosa angelutschten Dinger findet. Ihr wird etwas kribbelig im Bauch. Nein, da denkt sie lieber nicht weiter dran. Was ist, wenn die Leute vom Krankenhaus bei ihren Eltern nachfragen, und alles kommt raus.

Sie schaut lieber aus dem Autofenster. Wie die Bäume vorbeizischen. Autofahren ist aufregend. Und die zwei Männer, die sie nach Hause bringen, haben ganz schicke weiße Uniformen an. Sie fahren sie den ganzen Weg von Bad Homburg nach Frankfurt. Da kann man schon verstehen, dass Mutti und Vati nicht zu Besuch kommen konnten. Sie versucht immer vernünftig zu sein und keine Angst zu haben. Sonst ist alles zu anstrengend für die Anderen. Also SIE ist dann zu anstrengend. Mutti darf sich nicht aufregen.

Jetzt kann sie schon die Häuser erkennen. Noch einmal abbiegen, und sie sind in  ihrer Straße. Sie sieht den Balkon im dritten Stock. Und – sie kann es fast nicht  glauben – da steht eine riesengroße Puppe. Sie hat einen kleinen runden Kopf, ein Halsband und ein schmales ausgestelltes Kleid in bunten Streifen. Nur für sie, weil sie heute nach Hause kommt und so tapfer war.

Also freuen sie sich doch. Und die Puppe soll eine Überraschung sein, deshalb steht sie auf dem Balkon. Sie wird so tun, als hätte sie nichts bemerkt.

Jetzt steigt sie aus, einer der Männer trägt ihr den kleinen Koffer die Treppe hoch bis zur Wohnungstür. Oma steht da und begrüßt sie, dann dreht sie sich um und geht wieder zur Wiege, in der das Baby liegt. Meistens liegt es gar nicht, sondern ist ganz beweglich und fröhlich und laut. Manchmal schreit es auch. Aber alle lieben das Baby, und sie muss es auch lieben. Es ist ja ihre kleine Schwester.

Sie kann kaum erwarten, dass ihr endlich jemand die Puppe zeigt. Aber nichts passiert. Dann ist es schon Zeit zum Schlafengehen. Sie nimmt all ihren Mut zusammen und fragt.

„Du dummes Ding“, sagt Mutti. „Das ist doch nur der neue Sonnenschirm!“ und lacht sie aus. Die Hitze schießt ihr ins Gesicht. Sie schämt sich entsetzlich.


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