Freitag, 22. November 2013

Immer so nett!

Ich habe immer öfter Lust mich ungehörig zu benehmen. Ich meine damit, dass ich in bestimmten Situationen etwas Unerwartetes äußern oder tun möchte. Mein großes Vorbild ist Martina Hill http://www.martinahill.com/#2. Wobei die das ja nicht in echt macht. Sondern beruflich. Aber sehr inspirierend, das muss ich sagen. Wenn sie Kurse anböte - ich würde sofort buchen.

Gerade vorhin im Modeladen war so eine Gelegenheit: Ich war mit einem Shirt in der Hand zu der Dame hinterm Tresen gegangen und hatte gefragt, ob sie mir das Teil bis morgen zurücklegen würde. Die Antwort: "Nee, sowas tauschen wir nicht um." Am liebsten hätte ich laut gebellt oder etwas in der Art. Schlau wäre natürlich gewesen, mit einem:  "Ach wie schade, dann muss ich's eben wieder mitnehmen." den Laden energischen Schrittes zu verlassen. Aber schlagfertig bin ich immer erst später.  Ich weiß übrigens, dass das ein Widerspruch ist.

Kürzlich wurde ich in meiner Bankfiliale von einer Auszubildenden bedient, die ihre Unkenntnis durch Outfit-Maßnahmen zu kompensieren gezwungen war. An einem gewissen Punkt unseres Gesprächs hätte ich gern gesagt: "Wen willst Du eigentlich beeindrucken mit Deinen hochgezurrten Brüstchen, Du kleine Gans?!" Ungehörig. Aber ehrlich: wer hat jungen Frauen eingeredet, es sähe cool aus, sich die Brust unters Kinn zu schnallen? Wo bleibt die Würde? Die meisten Menschen müssen sich Würde natürlich erst erarbeiten. Mit 16 habe ich auch die seltsamsten Dinge angezogen und fand mich todschick. Wobei dieses Wort schon damals altmodisch war. Aber meine Patentante hat es oft gebraucht, und die war wirklich oft todschick. In den frühen sechziger Jahren war todschick sein durchaus erstrebenswert für junge unverheiratete Frauen wie meine geliebte Patentante.

Zurück zum Ungehörigen. Der Freund einer Bekannten von mir wäre ebenfalls ein gutes Vorbild: Er hat mal in der Zürcher Straßenbahn einen jungen Mann gebeten, sein Musikbeschallungsgerät etwas leiser zu stellen. Zur Antwort erhielt er ein Gezeter des Inhalts, dass man wohl Musik hören könne, wo und wann und wie laut auch immer man dazu Lust habe. Daraufhin stellte sich der Freund gegenüber diesem jungen Mann auf und sang laut, ruhig und konzentriert ein altes Schweizer Volkslied mit recht vielen Strophen. Vor solchen Menschen habe ich großen Respekt. Ich würde meinen Hut vor ihnen ziehen, wenn ich Hüte trüge. Manche Frauen haben ja ein Hutgesicht. Audrey Hepburn oder etwa Sophia Loren hatten ein Kopftuchgesicht. Ich habe wohl am ehesten ein Burkagesicht. In meiner Gegend haben Burkas eher keine Tradition. Wenn ich zum Beispiel ab morgen nur noch mit Burka das Haus verließe, gäbe es bestimmt Nachfragen. Besonders von meinen Nachbarn. Und ganz besonders von unserem Hausmeister. 

Seit einiger Zeit hängt an meiner Wohnungstür, wo andere Menschen ein Namensschild und / oder einen Spion angebracht haben, ein Foto von Ai Wei Wei. Es ist entstanden, als er endlich aus dem Gefängnis entlassen wurde. Es zeigt ihn, wie er gerade die Tür zu seinem Anwesen vom Innenhof aus schließt. Sein freundliches, erschöpftes Gesicht schaut den Betrachter zwischen der halb geschlossenen Tür und dem Türrahmen an. Für Menschen, die Ai Wei Wei und seine Beziehung zum chinesischen Regime nicht kennen, sieht es so aus, als würde der Mann auf dem Foto unerwarteten, aber nicht unerwünschten Gästen die Tür öffnen. So irreführend kann ein Bild sein. 

Unser Hausmeister kannte Ai Wei Wei nicht. Er fragte mich, ob dieses Bild mit dem freundlichen Mann böse Geister fernhalten solle. Keine schlechte Interpretation. Ich mag unseren Hausmeister.  

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