Bei einem Besuch in der
elterlichen Wohnung fiel mein Blick auf eine Schale, die im Flur auf dem
Sideboard steht. Solange ich denken
kann, steht sie da – früher gefüllt mit Markstücken, heute mit Euromünzen, und jeden
Freitag lag dort ein Extrahäufchen mit abgezähltem Geld.
Dieser abgezählte Betrag
war für den Eiermann. Und einer von uns
ging bei seinem Klingeln zur Wohnungstür – manchmal noch rosig glühend vom
wöchentlichen Wannenbad – und tauschte das Häufchen Münzen gegen zwanzig frische
Hühnereier.
Als Kind dachte ich, der Mann im grauen Kittel
und mit Hütchen auf dem Kopf hieße Herr Eiermann. Das schien mir einleuchtend. Der Eiermann hieß aber
Herr Jäger, war ein Bauer aus der Umgebung und machte jede Woche seine Runde in
unserer Siedlung mit den Erzeugnissen seiner zweifellos glücklichen Hühner. Landwirt
war er nicht. Auch kein Jäger. Sondern
Bauer.
So wie auch unser
Postbote kein Zusteller war. Der Postbote war ein flinker, freundlicher und
fast zur Familie gehörender Mann, der die Post brachte. Wie schön klingt allein
das Wort „Bote“. Es erzählt von Erwartung und Vorfreude. Wer hat nicht schon einmal
sehnsüchtig auf einen Brief gewartet? Ich erinnere mich an die Briefe meiner
Oma, wenn sie oder wir in den Ferien waren. Damals wurden tatsächlich Briefe
und Postkarten hin und her geschickt, auch wenn wir nur zwei Wochen ein paar
hundert Kilometer entfernt Urlaub machten. Was mich heute noch zum Schmunzeln
bringt, war die Abschiedsformel – meine Oma beendete ihre Briefe immer mit
denselben Worten: „Nun muss ich schließen.“ Als wenn dringende Aufgaben auf sie warteten. Vielleicht
hatte sie diese Floskel irgendwo aufgeschnappt und empfand sie als elegant. Meine Oma stammte aus einer armen Familie und konnte nicht lange
zur Schule gehen. Ich staune heute noch, wenn ich Handschriftliches von ihr
finde, dass darin kein einziger Rechtschreibfehler zu entdecken ist.
Sehr selten kam ein Telegramm.
Telegramme waren – außer bei runden Geburtstagen – immer ein schlechtes Omen. Die
harmlosen erkannte man gleich, es waren sogenannte „Schmucktelegramme“. Die anderen wurden mit
Bangen vorsichtig geöffnet und hatten meist Trauriges mitzuteilen. Immerhin war
der Empfänger vorgewarnt und konnte sich wappnen. Heute kann es passieren, dass
wir nichtsahnend eine SMS anklicken - und der Lebensabschnittspartner hat Schluss gemacht.
Lebensabschnittspartner
gab es damals auch nicht. Genauso wenig wie Studierende. Nachdem ich von der
Schülerin zur Abiturientin geworden war, ging ich als Erste der Familie an die
Uni. Aber eine Studierende war ich bestimmt nicht, sondern eine ziemlich stolze
und aufgeregte Studentin. Studentin zu sein, das bedeutete soviel mehr als zu
studieren: eine ganz neue Welt öffnete sich mir, mit schier unendlichen
Möglichkeiten. Es gab für mich kaum ein größeres Geschenk als die Entdeckung,
wie aufregend es ist zu denken und zu lernen. Ein Schritt hinaus ins Freie.
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