Sonntag, 30. Juni 2013

Favourite Quotes

My life was full of horrible events that actually never even happened.
Michel de Montaigne

For beautiful eyes, look for the good in others; for beautiful lips, speak only words of kindness; and for poise, walk with the knowledge that you are never alone.
Audrey Hepburn

Samstag, 29. Juni 2013

Sentimental Journey

Bei einem Besuch in der elterlichen Wohnung fiel mein Blick auf eine Schale, die im Flur auf dem Sideboard steht.  Solange ich denken kann, steht sie da – früher gefüllt mit Markstücken, heute mit Euromünzen, und jeden Freitag lag dort ein Extrahäufchen mit abgezähltem Geld.

Dieser abgezählte Betrag war für den Eiermann.  Und einer von uns ging bei seinem Klingeln zur Wohnungstür – manchmal noch rosig glühend vom wöchentlichen Wannenbad – und tauschte das Häufchen Münzen gegen zwanzig frische Hühnereier.

Als Kind dachte ich, der Mann im grauen Kittel und mit Hütchen auf dem Kopf hieße Herr Eiermann. Das schien mir einleuchtend. Der Eiermann hieß aber Herr Jäger, war ein Bauer aus der Umgebung und machte jede Woche seine Runde in unserer Siedlung mit den Erzeugnissen  seiner zweifellos glücklichen Hühner. Landwirt war er nicht.  Auch kein Jäger. Sondern Bauer.

So wie auch unser Postbote kein Zusteller war. Der Postbote war ein flinker, freundlicher und fast zur Familie gehörender Mann, der die Post brachte. Wie schön klingt allein das Wort „Bote“. Es erzählt von Erwartung und Vorfreude. Wer hat nicht schon einmal sehnsüchtig auf einen Brief gewartet? Ich erinnere mich an die Briefe meiner Oma, wenn sie oder wir in den Ferien waren. Damals wurden tatsächlich Briefe und Postkarten hin und her geschickt, auch wenn wir nur zwei Wochen ein paar hundert Kilometer entfernt Urlaub machten. Was mich heute noch zum Schmunzeln bringt, war die Abschiedsformel – meine Oma beendete ihre Briefe immer mit denselben Worten: „Nun muss ich schließen.“  Als wenn dringende Aufgaben auf sie warteten. Vielleicht hatte sie diese Floskel irgendwo aufgeschnappt und empfand sie als elegant. Meine Oma stammte aus einer armen Familie und konnte nicht lange zur Schule gehen. Ich staune heute noch, wenn ich Handschriftliches von ihr finde, dass darin kein einziger Rechtschreibfehler zu entdecken ist.

Sehr selten kam ein Telegramm. Telegramme waren – außer bei runden Geburtstagen – immer ein schlechtes Omen. Die harmlosen erkannte man gleich, es waren sogenannte  „Schmucktelegramme“. Die anderen wurden mit Bangen vorsichtig geöffnet und hatten meist Trauriges mitzuteilen. Immerhin war der Empfänger vorgewarnt und konnte sich wappnen. Heute kann es passieren, dass wir nichtsahnend eine SMS anklicken - und  der Lebensabschnittspartner hat Schluss gemacht.


Lebensabschnittspartner gab es damals auch nicht. Genauso wenig wie Studierende. Nachdem ich von der Schülerin zur Abiturientin geworden war, ging ich als Erste der Familie an die Uni. Aber eine Studierende war ich bestimmt nicht, sondern eine ziemlich stolze und aufgeregte Studentin. Studentin zu sein, das bedeutete soviel mehr als zu studieren: eine ganz neue Welt öffnete sich mir, mit schier unendlichen Möglichkeiten. Es gab für mich kaum ein größeres Geschenk als die Entdeckung, wie aufregend es ist zu denken und zu lernen. Ein Schritt hinaus ins Freie. 

Comic Relief

A Buddhist walks up to a hot dog stand and says: "Make me one with everything."


Why did Karl Marx dislike Earl Grey tea? Because all proper tea is theft.

Courtesy to www.littlewhitelion.com

Freitag, 28. Juni 2013

Departure

Don't make such a fuss, says mom
You look such a mess, says mom
Wait until he finds out what you're like, says mom

You have to understand, says gran

You are so mean, says sis

Dad says - nothing

I am so very sorry, I say

And close the door behind me

Aufbruch

Stell Dich nicht so an, sagt meine Mutter.
Wie Du wieder aussiehst, sagt meine Mutter.
Der wird schon merken, was Du für eine bist, sagt meine Mutter.

Du musst Verständnis haben, sagt meine Oma.

Du bist so gemein, sagt meine Schwester.

Mein Vater sagt - nichts.

Es tut mir so leid, sage ich.

Und gehe endlich

To Do-Liste


Bearbeitet: 

Tochter, Enkelin, Schülerin, Studentin,
große Schwester, beste Freundin, Geliebte,
Lebensgefährtin, Akademikerin, Kollegin, 
Arbeitslose, Existenzgründerin, Single, 
Hinterbliebene, Mitarbeiterin, Antragstellerin


Unerledigt:

Mutter
Tante
Ehefrau
Witwe
Vorgesetzte
Rentnerin
Großmutter

Ach Kind, was soll bloß aus Dir werden?
Juli 2005


Von Idioten umzingelt


Es gibt ein Jugendbuch mit diesem Titel, und manchmal sympathisiere ich mit seinem pubertierenden Helden. Obwohl ich doch in einem ganz anderen Lebensabschnitt bin.

Vor kurzem habe ich ein bisschen im hiesigen Oxfam-Laden gestöbert. Vor dem Schuhregal hatte sich eine ältere Frau postiert – dass „Dame“ in diesem Fall die unpassende Bezeichnung wäre, sollte ich gleich erfahren. Die Frau bewegte sich keinen Millimeter und hatte diesen postmenopausalen bitteren Zug um den Mund, der mich hätte warnen können.

Ich war allerdings gerade allen Kreaturen freundlich gesinnt, und so sagte ich: „Wenn Sie ein bisschen zur Seite gehen, können wir beide gucken.“ Das war offenbar die größte Unverschämtheit, die ihr jemals untergekommen war. Sie schaute knapp an mir vorbei und grummelte ungehalten vor sich hin. Dann schob sie mich unsanft einfach zur Seite. Sowas kann ich nun nicht so gut leiden. „Anfassen müssen Sie mich nicht“, bemerkte ich, und da hatte ich endgültig ausgespielt.

Inzwischen waren die Alten zu zweit, sich aber völlig einig. „Was wollen Sie überhaupt von mir?“ Das war die Erste. „Eigentlich nichts, und schon gar nicht, dass Sie mich einfach  anfassen.“ „Also so was…“ Schon schaltete sich Nummer Zwei ein und fauchte: „Hüst und Host, hüst und host.“ (Isch schwör‘ – das hat sie gesagt.)

Rein sprachlich fand ich das faszinierend – ich nehme an, sie meinte sowas wie „Einmal Hü und einmal Hott“ oder „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln.“ Ich konnte allerdings keinen Zusammenhang mit der Situation herstellen. Dafür hatte ich das Gefühl, kostenlos ein absurdes Theaterstück zu erleben. Ich spielte sogar mit.

Um eine tätliche Auseinandersetzung zu vermeiden – und auch, weil ich mein Kichern nicht unterdrücken konnte – trat ich den geordneten Rückzug an.

Bin ich eigentlich allein mit der Sehnsucht nach zivilisierten Umgangsformen? Liegt das am Älterwerden? Ist das womöglich reine Nostalgie? Es häufen sich Erlebnisse mit Menschen, die scheinbar überhaupt kein Gefühl mehr für angemessenes Verhalten haben. Ein Radfahrer, der mich auf dem Bürgersteig fast überfährt, und mir dann „Du blödes Arschloch“ hinterher brüllt. Eine Kundin in der Kassenschlange hinter mir, die mir den Einkaufswagen in die Knöchel rammt und meint, ich solle gefälligst ein bisschen aufpassen. Undsoweiter.

Manchmal kommt es mir vor, als wären wir alle ständig in Alarmbereitschaft, falls jemand uns etwas wegnehmen oder zumuten will. Und das finde ich bedenklich. Vor allem, weil es ansteckend wirkt und in einem Teufelskreis enden kann.

Wo ist die richtige Balance zwischen Nachsicht und Treudoofheit?  Auch mein eigenes Ego kommt der Erleuchtung noch zu oft in die Quere.


Da arbeiten wir weiter dran. 

Donnerstag, 27. Juni 2013

Instant Happiness


  1. Gehen Sie 10 Minuten forsch um den Block. Sie dürfen auch länger.
  2. Stellen Sie sich aufrecht hin, breiten Sie die Arme aus und rufen: "Ich bin so unglücklich!" Wenn Sie dann nicht mindestens ein bisschen schmunzeln müssen, sind andere Maßnahmen angebracht.
  3. Schauen Sie ein paar Augenblicke in den Himmel und atmen Sie durch. Wie wichtig ist dann noch die blöde Nachbarin, die Sie schon wieder so komisch angeguckt hat? (Vielleicht ist sie gar nicht so blöd)
  4. Machen Sie ein Kompliment. Aber ein ehrliches, und wenn Sie mutig sind, am besten jemandem, den sie nicht kennen. Das geht einfach so im Vorbeigehen. Kleiner Tipp: Vorher drauf achten, dass der Empfänger nicht gerade mit seinem I-Pod oder Ähnlichem verstöpselt ist. Sonst kann das ganze Unternehmen nach hinten los gehen. Das ist so ähnlich, als müssten Sie einen Witz erklären. Aber im besten Fall entspinnt sich eine kleine Plauderei.
  5. Hopsen Sie ein bisschen auf dem Trampolin herum. Kleine Trampoline kosten nicht die Welt, und das Ganze geht sogar als Sport durch.
  6. Flirten Sie mit einem Baby. Nehmen Sie es nicht persönlich, wenn es bei Ihrem Anblick anfängt zu schreien. Steuern Sie das nächste Baby an.
  7. Sehen Sie sich hier www.wimp.com irgendein Video an - jaja, davon wird die Welt nicht besser, aber man sieht, dass sie auch nicht so schlimm ist, wie Sie Ihnen gerade erscheint.


Ich bin natürlich überhaupt nicht abergläubisch - das soll nämlich Unglück bringen - aber ich mag magische Zahlen. Deshalb hat die Liste sieben und nicht die üblichen zehn Punkte.

Ich freue mich über Rückmeldungen.


Mittwoch, 26. Juni 2013

Schmutzfleck

„Du bist der letzte Dreck!“ hast Du oft zu mir gesagt. Ich habe mich immer gewehrt, aber nur der Form halber. Es musste wahr sein, wenn meine eigene Mutter es sagt.

Manchmal hieß der Satz auch: „Du wirst in Deinem eigenen Dreck ersticken.“

Dreck. Dir war es immer wichtig, dass man bei uns vom Fußboden essen konnte. Wer will das? Nicht von so einem Fußboden. Meine kindliche Phantasie vom Picknick im Wohnzimmer war auch nur Dreck.

Jeder kann den Schmutz in mir sehen. Deshalb bin ich wohl allein geblieben. Manchmal sehne ich mich nach einem Spielkameraden, der Lust hat, mit mir im Matsch herumzupanschen.

In einem Roman habe ich mal ein gutes Bild für die Einsamkeit gefunden: die Hauptperson führt sie als traurigen großen Hund unsichtbar an der Leine mit sich. Am Ende der Story kann sie ihn freilassen. Was für eine nette Geschichte.

Meine Einsamkeit ist wie eine Schlange, die mir fett und schwer um den Hals hängt und mich ab und zu zärtlich würgt. Oder auch nicht so zärtlich. Manchmal zischelt sie mir ins Ohr. Wenn sie mir gerade nicht so schwer erscheint und ich sie fast vergessen habe. Sie ist dann gekränkt und will sofort meine Aufmerksamkeit. Das macht sie gut. Ich höre sie dicht an meinem linken Ohr – fast fühlt es sich an, als sei sie in meinem Kopf. „Ich bin immer bei Dir, auf mich kannst Du Dich verlassen. Du brauchst doch außer mir niemanden.“

Letztens habe ich mal wieder so ein Tapferkeitsding durchgezogen und war allein bei zwei Veranstaltungen. Erst klappt das ganz gut – es gibt genug zu gucken, und Small Talk beherrsche ich. Ich habe aber nicht aufgepasst und den Zeitpunkt zum Gehen verpasst. Gleich ging das Gewürge wieder los. Und das Gewisper: „Guck mal, lauter Paare und fröhliche Gruppen...meinst Du, es fällt nicht auf, dass Du hier ganz allein bist? Lächelt die da nicht schon mitleidig? Also mir gefällt es hier überhaupt nicht.“ Bin ich halt nach Hause.

Und wohin jetzt?

Vielleicht hier: „Du musst noch verrückter werden.“ Pina Bausch

Eine Ahnung von Hoffnung.




Shouts and Whispers

"You're just filth," you used to tell me. I always objected, but only for form's sake. It had to be true when my own mother said it.

Sometimes you even had prophetic visions: "Some day, you will suffocate in your own waste."

Filth. It was always important to you that you could eat off the floor at our place. Who would want that? Not off such an ugly floor. To you, my childhood fantasy of a picnic in the living room was also just filth. And silly, of course.

Everyone can spot the filth inside me. That is probably why I am living a lonely life. Sometimes I long for a playmate who would love to splash around with me in the mud.

In a wonderful Anne Tyler novel I stumbled over a great image for solitude: the heroine is leading a sad big dog on a leash wherever she goes, visible only to her. At the end of the story she can finally release him. What a cute story.

My loneliness is like a snake that I am carrying fat and heavy around my neck. It is choking me up tenderly. Sometimes it whispers into my ear. Mostly when I forget about it for instants. Then it feels offended and wants my immediate attention. It’s very good at that. I can hear it in my left ear - it almost feels as if it were in my head. "I am always here for you, you can rely on me. You surely do not need anybody else."

A few days ago I pulled through one of those bravery things and went to two events. At the beginning, everything is fine  - there is lots of art to look at, and I’m good at small talk. But I was not paying attention and missed the moment to leave. Directly my throat started to feel tight. And the whispering began: "Look, beautiful couples and groups of friends wherever you turn. You think they don’t notice that you’re here all alone? That they don’t smile at you because they pity you? Well, I don’t  like it here at all." So we went home.

Where to go next? Maybe here:

„You just have to get crazier.“ Pina Bausch

The sound of hope.



Dienstag, 25. Juni 2013

Schöner Tag

Seit ich mir nicht mehr ständig neue Bücher kaufen kann (und will, aber das ist ein anderes Thema), gehe ich in der Stadtbücherei ein und aus. Meist ohne besonderes Ziel, denn ich finde immer etwas. Manchmal ein Buch, von dem ich gar nicht wusste, dass es mich interessiert. Heute hockte im Regal eine "Enzyklopädie Nähstiche und Stoffe". Die drängelte regelrecht: "Nimm mich mit. Ich weiß, Du brauchst mich." Und sie hatte völlig Recht (auch dazu später mal mehr). Ich also das Buch geschnappt, dazu zwei Thriller, und damit in den Fahrstuhl zum ersten Stock. Nicht dass ich faul wäre. Aber die Treppen dort sind nichts für Höhenängstliche.

Mit mir stieg ein älterer Mann ein, der guckte auf meine kleine Sammlung, sah das Nähbuch und sagte: "Sie habbe e Hobby. Des is gut." Ich nickte ihm freundlich zu.

Davon beschwingt machte ich mich auf den Heimweg. An einer roten Ampel wartend, schaute ich nach rechts und damit einem jungen Mann ins Gesicht, der direkt neben mir stand und mich anschmunzelte. Ich lächelte vorsichtig zurück. Daraufhin verkündete er: "Ich möchte jetzt gut essen gehen." "Na, dann guten Appetit!" "Ich möchte mit IHNEN essen gehen!" "???"

Wir plauderten ein bisschen; er stellte sich vor und gab mir dabei einen Handkuss. Natürlich bin ich nicht mit ihm essen gegangen noch habe ich meinen Familienstand oder die Telefonnummer verraten - aber sowas versüßt einem doch sofort den ganzen Tag. 


Der Anfang von Allem

Vor einigen Monaten zeigte die ARD den Fernsehfilm "Unsere Mütter, unsere Väter". Bis kurz vor dem Sendetermin wusste ich nicht, ob ich mir das anschauen sollte / wollte.

Es gab mal einen Film über die Flucht aus Ostpreußen, mit Maria Furtwängler in der Hauptrolle einer Adligen, die mit all ihren Schutzbefohlenen nach Westen aufbricht. Bei so einer Frau war meine Großmutter "in Stellung", wie das damals hieß. Heute würde man Hausmädchen dazu sagen, und sie war wirklich noch ein Mädchen. Diesen Film wollte ich mir nicht antun.
Geschichten von der großen Flucht hatten meine Kindheit geprägt, und kein kleines Kind sollte sich so etwas anhören müssen. Alpträume und ständige Angst sind garantiert.

Diesmal aber war ich neugierig, und der neue Film hat mich und offenbar viele meiner Generation getroffen und lange beschäftigt. Den folgenden Text habe ich als Beitrag im FAZ-Leserforum geschrieben:

Meine Mutter war Jahrgang 1926, mein Vater ist 1927 geboren. Meine Mutter wuchs in einem kleinen Dorf nahe dem früheren Königsberg auf, mein Vater in Magdeburg.

Im Alter von 17 Jahren wurde der eine mit dem sogenannten letzten Aufgebot in den Krieg geschickt und die andere von der Roten Armee nach Sibirien verschleppt.

Sie begegneten sich mit Ende Zwanzig. Jeder heutige, einigermaßen psychologisch interessierte Mensch kann sich denken, dass zwei dermaßen an Leib und Seele verletzte Menschen nicht gut zu Ehepartnern und Eltern taugen. Natürlich sind sie dennoch beides geworden, sicher aus der Sehnsucht, endlich wieder ein normales Leben zu führen. Es ist nichts Gutes dabei herausgekommen.

Mein Vater hatte als Soldat das Glück gehabt, schnell in amerikanische Gefangenschaft zu geraten. Dennoch hat er in der kurzen Zeit davor unvorstellbar Schlimmes erlebt und nicht zuletzt seine Heimat verloren. Von der Gefangenschaft in Luxemburg erzählt er bis heute launige Geschichten. Die nicht so lustigen wurden lange nur angedeutet, aber ich sehe doch Szenen aus Erzählungen vor mir, wo er in frischen, sarglosen Gräbern nach seinem Onkel gräbt, um festzustellen, ob der beim letzten Bombenangriff umgekommen ist. Da war er sechzehn.

Meine Mutter war die Tochter eines überzeugten Sozialdemokraten, der ständig gegen Hitler angepredigt hat und die ganze Nazizeit hindurch schikaniert (jedoch nie verhaftet) wurde. So verlor sie ihr Stipendium für die höhere Schule, weil mein Großvater sie nicht zum Bund Deutscher Mädel anmelden wollte. In einer ironischen Laune des Schicksals wurde ausgerechnet ihre Familie für die Verbrechen des Dritten Reichs bestraft (und warum auch nicht?).

Eines Sommernachmittags wurde meine Mutter auf dem Heimweg von ihrer Ausbildungsstelle von der Straße weg verschleppt. Mit vielen anderen jungen Mädchen transportierte man sie in einem Viehwaggon nach Sibirien, um sie dort fünf Jahre lang in Kohlebergwerken schuften zu lassen. Was sie dort sonst erlebt hat - ich habe es mir oft ausgemalt, und es zerreißt mir heute noch das Herz. Erzählt hat sie nie etwas.

Ihre Eltern wussten bis zu ihrer Rückkehr im Jahr 1948 nicht, ob sie noch am Leben war. Meine Großmutter entkam mit einem Flüchtlingstreck aus Ostpreußen nach Norddeutschland. Was viele Menschen nur aus Filmen kennen, hat sie wirklich erlebt: sie musste ihre Mutter – meine Urgroßmutter – im hohen Schnee am Wegrand zurücklassen, weil diese zu schwach war weiterzugehen.

Ich bin 1958 in Frankfurt am Main geboren. Dort lebten meine Eltern zusammen mit den Eltern meiner Mutter; 1962 kam noch meine kleine Schwester dazu.

Die Jugend meiner Eltern im Dritten Reich hat unser ganzes Leben geprägt. Wir wuchsen in einer verdrehten Welt auf, denn schon von klein auf mussten WIR die Eltern sein, und unsere Eltern waren wie Kinder oder Kranke, die unendlich viel Zuwendung und Nachsicht beanspruchten.

Ich wurde groß mit der unausgesprochenen, manchmal auch ausgesprochenen Regel, dass meine Mutter so viel Schlimmes durchgemacht hatte, dass wir sie auf keinen Fall aufregen oder ärgern durften. Dieses Schlimme wurde nicht näher erklärt und dadurch umso bedrohlicher. Wir lernten, möglichst gar nicht da zu sein – uns tot zu stellen. Das funktioniert natürlich am besten, indem man sich das Fühlen ganz abgewöhnt. Dieses Verbot zu fühlen ist unser Familienerbe.

Als wir beiden Schwestern klein waren, war mein Vater noch ausgleichendes Element. Er war ein lustiger Papa, mit dem man wie mit einem Gleichaltrigen spielen und Unsinn machen konnte. Für ein kleines Kind ist das wunderbar. Mein Vater blieb allerdings dabei – seine Art, seine Jugend zu verarbeiten war die Weigerung, erwachsen zu werden. Leider war er nicht wie Oskar aus der Blechtrommel eine literarische Figur, sondern wäre im echten Leben als Vater gebraucht worden. Besonders, als meine Mutter anfing zu trinken.

Beides verzweifelte Versuche, den Schmerz nicht zu spüren.

Schon immer hatte ich das Gefühl, dass ich nicht hier in Frankfurt, sondern in einem  verlorenen Paradies zu Hause sei. Ich hatte Heimweh nach einer Landschaft, die ich nie gesehen hatte: nach dem Dorf am Frischen Haff, aus dem meine Mutter und Oma und Opa stammten.

Dass dies mehr als nur Fantasie war, wurde mir erst später bewusst. Es stimmt ja: Ich habe hier keine Wurzeln. Das Leben meiner Schulfreundinnen mit Tanten und Onkeln, Cousins und Cousinen war mir fremd. Stattdessen: von Anfang an ständige Verwirrung. So kamen manchmal Frauen zum fröhlichen Kaffeeklatsch, die uns als Lagerkameradinnen meiner Mutter vorgestellt wurden. Wie konnte das sein? Das Lager war doch so schrecklich gewesen? Ich verstand es nicht. In einer weiteren Laune hatten die Schicksalswellen ein paar Verwandte meiner Mutter – also die Familie aus Ostpreußen – nach dem Krieg nach Magdeburg gespült, das ja meines Vaters Heimatstadt ist. Als Kind wusste ich nie, wer zu wem gehört oder woher kommt. Und erklärt wurde nichts. Es wurde über die wichtigsten Dinge einfach nicht gesprochen.

Erstaunlicherweise gab es nie einen Zweifel daran, dass wir – die Deutschen -  verantwortlich waren. Es gab in unserer Familie keinen Revisionismus – nie war die Rede von den „bösen Russen“ oder davon, dass früher alles besser gewesen sei. Nur die Heimat wurde schmerzlich vermisst. Ansonsten galt es die Zähne zusammen zu beißen und sich nicht zu beklagen.

Meine Schwester und ich verdienten uns unsere Existenzberechtigung mit den aussichtslosen Versuchen, unsere Eltern zu heilen. Ich bin heute sicher, dass das sehr vielen aus meiner Generation so ergangen ist und noch ergeht. Symbolisch betrachtet, ist meine Schwester an dieser vergeblichen Liebesmühe gestorben. Uns beiden ist es nicht gelungen, selbst eine Familie zu gründen oder auch nur eine stabile Existenz aufzubauen.

Das Dilemma für uns Nachkommen ist: Unsere Eltern sind nicht daran schuld, dass sie zu seelisch Versehrten wurden. Aber sie konnten auch keine Verantwortung dafür übernehmen und haben dieses Leid an uns Kinder weitergegeben. Wir haben dafür bezahlt – damit, dass wir nicht Kind sein und noch nicht einmal jemanden dafür einen Vorwurf machen durften, denn dann hätten wir unsere Eltern ja doppelt im Stich gelassen. Stattdessen wurden WIR im Stich gelassen und mussten uns in mühsamer und langjähriger seelischer Arbeit ein kleines Stück vom Glück erobern.

Mein Vater ist noch am Leben. Ich habe noch nie ein wirkliches Gespräch mit ihm geführt.

Wenn ich einmal sterbe, ist unser Familienfluch endgültig gebrochen. Aber manchmal macht es mich wütend und traurig, dass dies der Sinn meines Lebens (gewesen) sein soll.

Homecoming

Finally she is returning home. She is happy and exited. A whole week without Mom and Dad and Grandma and Grandpa is still pretty long. Especially if you have no visitors. But she is supposed to be reasonable. Because she is a big girl now. Since little sister has arrived she is the older one. After all, she is already four years and three months old.

The best thing about the tonsillectomy was that every day, they gave her ice cream for dessert. Unfortunately, there were also nasty, sour-tasting tablets. But she always dropped them secretly under the bed. She imagines how some nurse will find the small pink round thingies she had already sucked on a little. She gets a weird anxious feeling in her tummy. No, better not think about that. What if the boss of the hospital writes to her parents, and everything comes out!

Better to look out the car window and watch the trees whizz by. Driving in a car is rather exciting. All the way from Bad Homburg to Frankfurt. She can  understand that Mom and Dad could not come to visit. She always tries to be reasonable and calm. Everything else would be too stressful for her family. SHE would be too much stress for her family.

Now she can already see the familiar buildings. One more turn and they are in her street. She sees the third floor balcony. And - she almost doesn’t trust her eyes - there is a gigantic doll! She can see a small round head and a narrow flared dress in bright stripes. A doll just for her, because she comes home today and has been such a good girl.

So they do look forward to her return.  And the doll is a surprise, that’s why it  stands on the balcony. She will pretend she hasn’t noticed.

Now she gets out, one of the men in their elegant white uniforms carrying her small suitcase up the stairs to the front door. Granny stands there and says hello, then she immediately turns around and goes back to the cradle where the baby lies. Mostly it is not laying there quietly, but is very agile and cheerful and noisy. Sometimes it is screaming. But everybody loves the baby, and she must love it, too. After all, it is her little sister.

She can hardly wait until someone shows her the doll. But nothing happens. Then it's time for bed. She gathers all her courage and asks.

"You silly thing," says mom. "It's just the new parasol!" And laughs at her. The heat is flooding her face. She is mortified.



Montag, 24. Juni 2013

Cut and Woah!

Immer mal wieder teste ich neue Frisöre. Diesmal in einem Salon mit gutem Namen und einem Sonderangebot: Haare selber föhnen - na, das krieg' ich hin, und wenn’s Geld spart ...

Ich gehe zum vereinbarten Termin und werde von einer jungen Frau empfangen, die mich entfernt an Lena Meyer-Landrut erinnert, nur minus Charme.

Trotzdem beschließe ich ihr zu vertrauen und schildere mein Anliegen. Und sie versteht scheinbar genau, was ich will. Ihre altkluge Art überhöre ich. Auch, dass sie über die Konkurrenz herzieht.

Ich klammere mich störrisch an meinen Optimismus. Da teilt sie mir mit, dass mein Hals praktisch nicht vorhanden sei und ich „Null Hinterkopf“ habe. Schüchtern wende ich ein, dass meines Wissens jeder Mensch über einen Hinterkopf verfügt, aber sie sagt, ich wüsste schon, was sie meint. Und ich – stimme ihr zu.

Wieso mache ich das? Warum bin ich nicht so souverän wie die Frau in einer Hollywoodkomödie, die auf die Vorschläge einer Kosmetikerin einwendet, sie fände ihre großen Poren sehr praktisch. Da könne man lauter Kleinigkeiten unterbringen, wenn man mal keine Handtasche mitnehmen will.

Wenn man über keines der gängigen Attribute weiblicher Schönheit verfügt, dann braucht man mindestens einen guten Dialogschreiber. Oder ein so robustes Selbstwertgefühl wie Melissa McCarthy – die aus „Bridesmaids“. Am besten beides. Schon wieder Hollywood.

Das Leben ist keine Romantic Comedy. Sonst würde die Frisör-Zicke ihre verdiente Strafe bekommen. Zum Beispiel könnte Melissa McCarthy sich auf sie werfen und sie kurzerhand unter sich begraben. Ich höre direkt ihr empörtes Röcheln. Also das der Friseurin. Melissa würde sich königlich amüsieren. Wenn ich so drüber nachdenke, hätte ich das selbst machen können. Ich habe schon oft Lust gehabt, mal eine richtig hysterische Szene hinzulegen. Aber im wirklichen Leben muss man ja aus der Nummer irgendwie wieder rauskommen. Sowas will gut geplant sein.

Einmal habe ich es wirklich getan. Bin zur WG meines Noch-nicht-ganz-Ex-Freundes marschiert, an seinem verblüfften Gesicht vorbei und habe alle meine Fotos von der Pinnwand gerissen. Dann kommentarlos Türen schmeißend die Wohnung verlassen. Da bin ich heute noch stolz drauf. Beim Rückblick überkommt mich allerdings auch Mitgefühl. Der arme Mann. So kannte der mich gar nicht. Vielleicht war das unser Problem. Aber ich schweife ab.

Eigentlich wünsche ich mir, dass mich meine sonst durchaus scharfe Zunge nicht ausgerechnet im Stich lässt, wenns wirklich drauf ankommt.

Was für elegante Sätze ich dann kaltlächelnd servieren würde – ach, ein Traum.

Der Zicke würde ich zum Beispiel sagen…..(to be continued).


Heimkehr

Endlich darf sie wieder nach Hause. Sie ist schon ganz aufgeregt. Eine Woche ohne Mutti und Vati und Oma und Opa  ist doch ganz schön lang. Vor allem, wenn man keinen Besuch kriegt. Aber sie sollte ja vernünftig sein. Sie sei doch schon groß. Seit die kleine Schwester da ist, ist sie die Große. Und das stimmt. Sie ist schon vier Jahre und drei Monate.

Das Beste an der Mandeloperation war, dass es jeden Tag Eis zum Nachtisch gab. Leider gab es danach noch so eklige saure Tabletten. Aber die hat sie immer schnell hinters Bett fallen lassen. Sie stellt sich vor, wie eine Putzfrau die vielen kleinen rosa angelutschten Dinger findet. Ihr wird etwas kribbelig im Bauch. Nein, da denkt sie lieber nicht weiter dran. Was ist, wenn die Leute vom Krankenhaus bei ihren Eltern nachfragen, und alles kommt raus.

Sie schaut lieber aus dem Autofenster. Wie die Bäume vorbeizischen. Autofahren ist aufregend. Und die zwei Männer, die sie nach Hause bringen, haben ganz schicke weiße Uniformen an. Sie fahren sie den ganzen Weg von Bad Homburg nach Frankfurt. Da kann man schon verstehen, dass Mutti und Vati nicht zu Besuch kommen konnten. Sie versucht immer vernünftig zu sein und keine Angst zu haben. Sonst ist alles zu anstrengend für die Anderen. Also SIE ist dann zu anstrengend. Mutti darf sich nicht aufregen.

Jetzt kann sie schon die Häuser erkennen. Noch einmal abbiegen, und sie sind in  ihrer Straße. Sie sieht den Balkon im dritten Stock. Und – sie kann es fast nicht  glauben – da steht eine riesengroße Puppe. Sie hat einen kleinen runden Kopf, ein Halsband und ein schmales ausgestelltes Kleid in bunten Streifen. Nur für sie, weil sie heute nach Hause kommt und so tapfer war.

Also freuen sie sich doch. Und die Puppe soll eine Überraschung sein, deshalb steht sie auf dem Balkon. Sie wird so tun, als hätte sie nichts bemerkt.

Jetzt steigt sie aus, einer der Männer trägt ihr den kleinen Koffer die Treppe hoch bis zur Wohnungstür. Oma steht da und begrüßt sie, dann dreht sie sich um und geht wieder zur Wiege, in der das Baby liegt. Meistens liegt es gar nicht, sondern ist ganz beweglich und fröhlich und laut. Manchmal schreit es auch. Aber alle lieben das Baby, und sie muss es auch lieben. Es ist ja ihre kleine Schwester.

Sie kann kaum erwarten, dass ihr endlich jemand die Puppe zeigt. Aber nichts passiert. Dann ist es schon Zeit zum Schlafengehen. Sie nimmt all ihren Mut zusammen und fragt.

„Du dummes Ding“, sagt Mutti. „Das ist doch nur der neue Sonnenschirm!“ und lacht sie aus. Die Hitze schießt ihr ins Gesicht. Sie schämt sich entsetzlich.


Also doch...

Nun ist es so weit - er sie es bloggt, und jetzt auch ich. Ich bin ganz schön aufgeregt, aber gleichzeitig wild entschlossen. Keine Ahnung, ob dies hier jemals irgendwer lesen wird. Keine Ahnung, wie man sowas richtig anfängt. Ab heute schreibe ich zumindest theoretisch nicht mehr nur für mich.

Herzlich willkommen, geneigte Leserschaft!

Dear (future) readers,

After much hesitation and procrastination I'm finally coming out with my musings on life in general and my own ongoing struggle with all the strange and wonderful stuff it has been serving me in particular.

Welcome!