Mittwoch, 22. Juli 2015

It's a mad mad mad world

Gestern in der Hessenschau ging der Reporter mit der Autobahnpolizei auf Raser-Jagd. Und schnell wurden auch einige Geschwindigkeits-Sünder zur Strecke gebracht.

In einem Fall war die Fahrerin so geschockt, dass sie aus dem Auto sprang und offenbar die Autobahn gleich zu Fuß verlassen wollte. Der Polizist beruhigte sie freundlich. Sie war ungefähr 30 km/h zu schnell unterwegs, wenn ich mich recht erinnere. Da kann man sich schon mal erschrecken.

Dann wurde eine junge Frau gestoppt, die die vorgeschriebene Geschwindigkeit um knapp 60 km/h überschritten hatte. Sie fuhr 140 statt 80 - und man weiß ja durchaus,  dass  viele schwere Unfälle von Rasern verursacht werden.

Der Reporter schilderte, dass diese Frau beruflich viel Autobahn fahren müsse und mit diesem Job  ihr Studium finanziere. Nun habe es schon einmal solch einen "Vorfall" gegeben, und daher sei nicht nur der Führerschein, sondern auch der Job in Gefahr. 

Dann sprach die junge  Frau selbst ins Mikro. Sie war ziemlich verzweifelt, denn....siehe oben. Sinngemäß sagte sie: "Ich hatte ja schon mal Ärger mit sowas, und mein Chef hat gesagt, also beim nächsten Mal.... naja. Also jetzt hab ich Angst, dass ich meinen Job verliere" und so  weiter und so fort.

Nächster Kommentar vom Polizisten. Ich erhoffe Gegenrede, aber was sagt der liebe Herr Wachtmeister? In so einer Situation müsse man sehr einfühlsam sein und dürfe nicht auch noch mit der Härte des Gesetzes kommen. Die junge Frau sei ja nun in  einer schlimmen Lage und müsse sich erst wieder einkriegen.

Und

ich

so:

GEHT'S EIGENTLICH NOCH?!

Sonntag, 12. Juli 2015

"Du sollst nicht merken" Alice Miller

Seit gestern Abend beschäftigt mich die Frage, ob ich erst auf dem Grund aufschlagen und diesen grausamen Schmerz aushalten musste, um etwas zu begreifen, dass ich im Grunde schon lange weiß. Nämlich, dass mein Vater sich einfach nicht auch nur ein winziges kleines Bisschen für mich interessiert. Und es auch nie tun wird. Ich habe das schon öfter mal so dahin gesagt, aber nicht gefühlt, scheint mir. 

Ich habe mir die ganze Zeit etwas vorgelogen und die Wirklichkeit meiner Erfahrungen und Gefühle geleugnet. Ich habe alles so verdreht, dass ich den Schmerz des ungeliebten Kindes nicht fühlen musste. Das habe ich auch hier in meinen hübschen Geschichten von gemütlichen Kaffeenach-mittagen durchgezogen, und ich habe selbst daran geglaubt. Weil die Alternative ja kaum zu ertragen ist.

Nach dem Zusammenbruch gestern hat eine liebe Freundin mir ein  paar wichtige Dinge in Erinnerung gerufen, und so konnte ich mich langsam wieder beruhigen. Und dann - trotz totaler Erschöpfung - habe ich ein Buch von Alice Miller gelesen, das ich noch nicht kannte. Rein zufällig (jaja...) hatte ich es aus der Bibliothek mitgenommen. "Die Revolte des Körpers" handelt davon, dass der Körper unsere Wahrheit kennt, auch wenn wir sie nicht fühlen. Wir sollen sie ja auch nicht fühlen, denn dann könnten wir keine dankbaren Kinder unserer Eltern mehr sein.

Und das habe ich tatsächlich weiterhin versucht - dankbar zu sein. Dankbar für nichts! Für ein bisschen Geld, um das ich jedesmal betteln muss, und wovon sowieso mehr als genug da ist. Es ist keineswegs so, dass meine Erlebnisse mit meinem Vater gelogen waren. Aber den alles entscheidenden Teil habe ich weggelassen, auch vor mir selbst. Und was mein Körper mir gestern wohl zeigen wollte: ich kann nicht mehr. Ich brauchte all meine Kraft, um nicht zuzugeben, dass mein Vater als Vater ein Versager ist und weiter immer nur um sich selbst kreist. 

Wie ein kleiner Hund, der immer noch hoffnungsvoll mit dem Schwanz wedelt, während er ignoriert oder gar mit dem Fuß beiseite geschoben wird, habe ich meine kleinen Stöckchen apportiert: den ersten veröffentlichten Online-Beitrag, den ersten veröffentlichten Print-Artikel, die Literaturagentin, die sich für mich interessiert. Immer und immer wieder, in der Hoffnung, irgendwann ein kleines Leckerli Aufmerksamkeit oder gar Liebe zu kriegen. 

Ist es nicht bezeichnend, dass ich unglaublich wütend reagiere, wenn ich bei anderen so ein Verhalten beobachte? Ich kann das kaum ertragen, und jetzt verstehe ich auch, warum. Spieglein,  Spieglein.

Und während ich dies schreibe, fühle ich endlich mal keine Scham über das kleine Mädchen,  das endlich gesehen werden will, sondern finde den "Vater" jämmerlich, der nicht einen  Funken Interesse für  das Leben seiner Tochter aufbringen kann. Natürlich rührt sich sofort wieder mein übergroßes Mit- und Schuldgefühl - wie sollte es anders sein nach so langer Zeit des immer gleichen Automatismus? 

Und was nun???  Ich fühle mich heute ganz leicht, und gleichzeitig gespannt. Ich glaube nicht, dass dies der absolute Durchbruch war und jetzt plötzlich alles anders wird. So funktioniert das nicht, wie ich wohl weiß. Aber ich will dieses Gefühl nicht vergessen und ihm weiter folgen. Mal sehen, wo es mich hinträgt. 

Samstag, 11. Juli 2015

Karussell

Ich fahre Karussell und kann nicht abspringen. Around and around we go - ich weiß nicht mehr, wo die Depression endet und die Wahrheit beginnt. Ich weiß nur, dass ich das nicht mehr lange durchhalte. Immer besser kann ich die Verlockung verstehen, alles zu beenden.

Ich habe so viel versucht und gewagt und gelernt, und die Belohnung ist ausgeblieben. Kein Versetzungszeugnis. Meine Sehnsucht, endlich am Leben teilnehmen zu dürfen wie "alle anderen", wird wohl ungestillt bleiben. Was soll jetzt noch kommen? Es ist schon ein paar Jahrzehnte her, da war alles, was ich mir von einem erneuten Therapieversuch noch erhofft habe, dies: dass ich mich endlich mit meinem Schicksal abfinde, ohne weiter zu leiden. Dass ein Zustand ruhiger Resignation erreicht werden könnte, wo ich das Leben eben einfach aushalte und mich an den immer wieder mal aufblitzenden schönen Momenten freuen konnte, auch wenn es niemanden gab, der sie mit mir teilen wollte. Stattdessen ist die Traurigkeit mit der Zeit immer größer geworden, und nun deckt sie alles zu. Die schönen Momente gibt es, aber sie hinterlassen keine Spuren. Ich bin aus tiefschwarzem Teflon, daran perlt alles Schöne ab.

Ein beliebter Spruch in  der englischsprachigen Internet-Community, wo ich mit anderen Depris eine vorübergehende Heimat - auf sehr schwankendem Boden - gefunden hatte, lautet: "It's just your brain telling lies." Das klingt schön und hoffnungsvoll, als wenn man sein nur Gehirn der Lüge überführen müsse und die Wahrheit ans Licht käme. Wobei man etwas Besseres enthüllen könne als dieses Lamento aus vergifteten Worten. 

Nur ist es eben keine Lüge, sondern eine Tatsache, dass ich ein Leben lang ohne Nähe, Intimität, Berührung - ohne Liebe auskomme. Und dass ich langsam einsehen muss, dass sich trotz aller Selbstoptimierung daran nichts mehr ändern wird. Es scheint mir heute so, dass die  ganzen  Therapien doch nur dazu gedient haben, mich "besser" zu machen, damit ich endlich annehmbar wäre für andere, für die Welt. 

Ich habe mich angestrengt, die zu sein, die andere haben wollten, damit sie mich eine Zeit lang dulden würden. Natürlich ging das immer nach hinten los, denn woher sollte ich wissen, was diese anderen wollten oder brauchten? Als "begabtes Kind" war ich zwar mit sehr feinen Antennen ausgestattet, die spüren, wenn etwas nicht stimmt oder jemand etwas braucht, aber wiederum so mit meiner eigenen Angst beschäftigt, dass ich keine Ahnung hatte, was das sein könnte. Und wie soll Freundschaft funktionieren, wenn die eine wie eine Schlange auf das Kaninchen immer auf die andere starrt und herauszufinden versucht, was gerade "richtig" sein könnte? 

Ich habe als kleines Kind gelernt, dass ich nicht genüge, um Mutti und Vati glücklich zu machen. Und nach allem, was ich angestellt habe, um das erstmal zu verstehen und dann zu verlernen, bin ich immer noch dieses kleine Kind. Und in den schlimmsten Momenten gehört diesem kleinen Mädchen meine ganze Verachtung und mein abgrundtiefer Ekel statt der Liebe, die es so dringend gebraucht hätte und immer noch braucht. 

Wie oft  habe ich gehört, dass ich mich erst selber lieben muss, damit andere mich lieben könnten. Aber schon setzt sich das Karussell in Gang: wie soll ich mich denn lieben, wenn nicht mal meine Eltern mich lieben konnten? Wenn irgend etwas an mir liebenswert wäre, dann hätte das im Laufe der Zeit jemand gemerkt. Dann wäre ich nicht allein, dann könnte ich mich auch lieben, dann bräuchte ich mich nicht lieben, denn dann wäre jemand da, der mir das Liebenswerte zeigen könnte, und da niemand da ist, gibt es das Liebenswerte nicht,  denn sonst hätte es längst jemand gesehen, und  da es nichts gibt, kann ich mich nicht lieben, denn es ist nichts da, was liebenswert wäre. So rast das Karussell immer im Kreis herum, und ich kann es nicht stoppen. 

Freitag, 10. Juli 2015

Spaziergang

Ich warte an einer Ampel, fühle, wie ich von der Seite angeschaut werde, dann kommt ein "Hallo!" und gleich darauf: "Ich dachte, ich gehe heute mal als Traum in Blau - wie finden Sie es?" Ich schaue den Mann neben mir an - nicht mehr jung, gute Figur, brauner Teint, blonde kurze Haare, freundliches Lächeln mit einem Blitzen in den blauen Augen. "Schelmisch" ist das Wort, dass mir einfällt. Er trägt tatsächlich Blau von Kopf bis Fuß, geschmackvolle Sachen, das Leinenhemd bis zur Brust aufgeknöpft, so dass ich eine Halskette mit Anhänger sehen kann. Und glücklicherweise keinerlei Brusthaare. 

"Gefällt mir gut, nur ein bisschen viele Knöpfe offen für meinen Geschmack." "Ach, das ist meine brasilianische Seite - ich bin halber Brasilianer, und das muss ich doch irgendwie zeigen!" "Na gut, das  sehe ich ein." "Sehen Sie! Ich könnt' mir allerdings noch einen Pulli umhängen." "Nein, bloß nicht. Da denk' ich an Angeber, die so tun, als wären sie Bootsbesitzer. Oder an angeberische Bootsbesitzer - weiß nicht, was schlimmer ist." "Also dann lieber Brust frei!" "Kommt wohl drauf an, wen Sie beeindrucken wollen." "Niemanden. Ich will niemanden beeindrucken. Die anderen sind mir sowas von piepegal." "Aber meine Meinung wollten Sie doch hören", bemerke ich lächelnd. "Ja klar! Das war irgendwie was anderes. Also - noch einen schönen Tag. And think Samba!"

Ein Stückchen weiter die Straße 'runter kommen mir drei junge Frauen entgegen von der Art, von der es inzwischen Millionen zu geben scheint: groß, dünn, blond, modisch, immer am Rande der Hysterie und von der unbedingten Überzeugung, dass die Welt ihnen alles zu geben bereit ist. Was sie wohl auch ist. Und daher müssen solche Frauen auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen. Eine von ihnen achtet nicht auf den Weg und rennt genau in mich hinein; ich habe keine Möglichkeit, noch auszuweichen. Sie kreischt: "Geht's noch, Du fette Sau!". Mit einem Tränenschleier vor den Augen laufe ich schnell weiter in der Hoffnung, dass niemand etwas bemerkt hat. 

Später in der S-Bahn - zwei Frauen, vielleicht Mutter und  Tochter, spazieren mit einer kleinen Boom-Box und einem Mikro den Mittelgang herunter und singen dabei mehr schlecht als recht "Volare" - meine Oma hätte gesagt, sieben Katzen singen achtstimmig. Sie treffen weder Ton noch Rhythmus und schon gar nicht die Stimmung des italienischen Evergreens. Als sie beim nächsten Stop eilig aussteigen, meldet sich ein alter Italiener zu Wort und sagt seine  Meinung zu dieser Art Geld zu verdienen - taugt nix, mit solcher Musik sollen sie lieber niemanden  belästigen und sich überhaupt was schämen - und ihre Sangeskunst - ganz schlimm, dabei ist das doch so ein schönes Lied, was sie dermaßen verhunzt haben.  Mit Nachdruck schmettert er plötzlich in einem wunderbaren kräftigen Tenor "Nel blu di pinto di blu." Ein junger Mann ruft: "Bravo! Bravissimo!" Wir applaudieren begeistert. 

Zurück in  meiner Straße muss ich noch schnell in den Supermarkt, und auf dem kurzen Stückchen zu meiner  Wohnung begegne ich dem jungen  Mann, der seit ein paar Wochen versucht, sich mit mir zu verabreden. Diesmal schaut er nur in meine Richtung, ruft: "Hallo, hübsche Frau!" und als ich auf seiner Höhe bin, sagt er nochmal leise: "So hübsch." Natürlich glaube ich kein Wort, aber ich freue mich und lächle ihn an.

Als ich endlich die Tür hinter mir schließe, lässt die Anspannung langsam nach.


Mittwoch, 8. Juli 2015

Holding on while looking into the abyss

Heute ist so einer dieser Tage.......nee, das wird kein Medley von Fanta 4-Liedern.

In letzter Zeit häufen sie (diese Tage) sich in beunruhigender Weise und lassen mich völlig abgekämpft zurück, ohne dass ich irgendwas Sinnvolles gemacht hätte, als mich am Leben festzuklammern. Wobei noch die Frage ist, ob das einen Sinn hat. Ich  habe den immer noch nicht gefunden.

Wenn ich doch bloß ans Jenseits glauben könnte und wüsste, dass ich dort von anderen meines Stammes erwartet werde - wie Mutti und Ute, Robin Williams und der liebenswerte Junge, der drei Tage, nachdem wir uns in einer Klapse kennengelernt hatten, von einem Hochhaus gesprungen ist, Kurt Cobain und Philipp Seymour Hoffman und wie sie alle heißen - dann wüsste ich schon, was zu tun ist. Nur noch nicht, wie.

Aber da ich so eine verdammte Skeptikerin bin, werde ich wohl hier weiter-machen. Wenn mir nur einer sagen könnte, wozu.