Dienstag, 25. Oktober 2016

Alles gut!

Hab' gerade im neuen Tchibo-Katalog geblättert. 

Demnach sind wir ein Volk von Sportbesessenen - besonders hat es uns offenbar das Skifahren angetan - das eher auf praktische denn auf schöne Möbel steht, viel bastelt und handarbeitet, und seinen Schlaf auf gesunden Matratzen und in Öko-Bettwäsche gern von elektronischen Geräten überwachen lässt. Neben dem Bett steht entweder  ein Buddha mit wechselnder Beleuchtung, aber beständigem Lächeln oder ein Diffusor, der für duftende Luftbefeuchtung sorgt. Ein Rundum-Wohlfühl-Paket.

Sicherheit scheint uns sehr zu beschäftigen - Gerätschaften für die Ausstattung des trauten Heims als Schutzburg gibt es jede Menge. Während wir zum Beispiel einen Marathon laufen oder eine Piste heruntersausen, ist unser  Haus (hier geht es um Besitzer, nicht um Mieter) geschützt. Wenn man schon gegen die Flüchtlinge an sich nicht viel unternehmen kann, so doch immerhin dagegen, dass die im eigenen Heim Asyl begehren.

Toleranz und Mitgefühl kommen dennoch nicht zu kurz: Für die Unsportlichen, jedenfalls die weiblichen, wird Mode  bis Größe 52 angeboten. Das rührt mich an. Die dicken Männer werden sich selbst überlassen oder sollen sich an den knackigen Kerlen auf den Sportausrüstungs-Seiten ein Beispiel nehmen. Bis auch sie in die rustikalen Karohemden und Cordjeans passen.

Ach ja:

Auf der Rückseite des Magazins ist ein Kaffeeautomat abgebildet.


Sonntag, 7. August 2016

Buchtipp - Durchs Nadelöhr

Traumaheilung durch Radikale Erlaubnis - neues Buch von Mike Hellwig

In seinem neuen Buch erzählt uns der Therapeut und Autor nichts Neues - es zu lesen lohnt sich aber dennoch. 

"Nichts Neues" klingt zunächst nach Abwinken - wozu soll ich es dann lesen? Ich meine damit nur, dass dem Konzept der Radikalen Erlaubnis inhaltlich nichts hinzugefügt wird. Die Radikale Erlaubnis bedeutet, kurz gefasst, die unein-geschränkte Anerkennung aller Gefühle, auch der vermeintlich kindischen (in Wirklichkeit: kindlichen) und schmerzlichsten, und unser Körper zeigt uns den Weg dorthin und hindurch.

Die Begriffe Gastgeber (ich), Wächter (meine verschiedenen Verhaltensweisen, mit z.B. schmerzlichen Situationen umzugehen, eine Art Kontrollinstanz) und Gäste (die Flora und Fauna meines Neurosengartens) sind aus früheren Büchern vertraut, hinzugekommen ist das Nadelöhr, durch das ich hindurch muss, um "ganz" zu werden. Das Nadelöhr kennen wir aus der Bibel - Ihr wisst  schon, Kamel vs. reicher Mann etc. Es ist eng und klein, und hindurch kommt es sich nicht so leicht. Bei Hellwig erinnert es an einen Geburtskanal, und der Prozess an eine Wiedergeburt. Diesmal als heiler Mensch. 

Das Neue in "Traumaheilung" ist, dass Mike Hellwig uns an seinem eigenen Weg teilnehmen lässt. Wer seine Bücher * und Videos ** kennt,  weiß schon um seine Furchtlosigkeit, auch sich selbst in seiner Arbeit zu zeigen. Darin unterscheidet er sich deutlich vom klassischen Therapeuten, der in der Regel zwar empathisch, aber unpersönlich auftritt.

Hellwig erzählt aufrichtig und schonungslos von seiner eigenen Entwicklung inklusive Irrtümern, falscher Heldenverehrung, Tief- und Tiefstpunkten. Aber auch von seinen Entdeckungen und dem Erlebnis der inneren Freiheit und Freude, nachdem er selbst sich das erste Mal unter höllischen Schmerzen durch das Nadelöhr gezwängt hat.

Ein bisschen Eitelkeit mag dabei im Spiel sein, aber als Leser fühle ich mit, und der Weg der Erkenntnis wird nachvollziehbar und glaubwürdig.

Nach Hellwig gibt es keine andere Lösung als alles, was in uns rumort, auch die vermeintlich bösen Gefühle und Gelüste, anzunehmen, wirklich zu fühlen und dies immer wieder, bis sie ihre Macht verlieren. 

Es gilt, nicht etwa den gordischen Knoten mit einem Hieb zu zerschlagen, sondern ihn mutig aber behutsam zu entwirren, bis wir die einzelnen Fäden erkennen und daraus vielleicht etwas Neues knüpfen können.

Sonntag, 19. Juni 2016

Hartz cont.

Das Verrückte ist: Vor dem nächsten  Jobcenter-Termin war ich recht gelassen, denn es ging ja nur darum, die Unterlagen für meinen Antrag abzugeben. Dachte ich. Und zack - die nächste Katastrophe bricht über mich herein.

Liebe Kinder, heute lernen wir, was der Begriff "Zuflussprinzip" bedeutet. 

Am besten erkläre ich Euch dies an einem Beispiel aus dem wirklichen Leben. Und nun gebt fein acht:

Eine Frau, die schon länger krank ist und deshalb Krankengeld bekommt von ihrer Versicherung, erhält von dieser Versicherung die Nachricht, dass ihr Anspruch auf dieses Geld abgelaufen ist. Die Versicherung muss nämlich nur eine Zeit lang bezahlen, und dann nicht mehr. Leider hat die Versicherung nicht aufgepasst und bittet die Frau um Entschuldigung. Dafür wird sie aber ein bisschen länger bezahlen. Und zwar bis zu dem Tag, wo es aufgefallen ist, dass die Frau gar kein Geld mehr kriegen darf. 

Da die Frau auch vor dem krank werden schon keine Arbeit mehr hatte, muss sie nun so schnell wie möglich das Geld beantragen, dass von den meisten Leuten "Hartz IV" genannt wird. 

Nun gibt es aber einen wichtigen Unterschied zwischen diesen verschiedenen Geldern: Das Krankengeld bekommt man immer rückwirkend. Das ist logisch und gerecht, weil man ja im Allgemeinen weder vorher plant noch wissen kann, wie lange man noch krank sein wird. 

Es funktioniert so: Der Kranke geht zum Arzt, und der Arzt bescheinigt ihm - oder auch nicht - dass er noch krank ist. Diese Bescheinigung schickt der Kranke an seine Versicherung, die prüft, ob alles richtig ausgefüllt ist, und dann erst schickt sie das Geld. 

Wenn jemand, wie die Frau in  unserer Geschichte, schon länger krank ist, fragt die Versicherung zwischendrin immer mal den  Arzt oder die Kranke, wie lange das denn noch dauert. Die Versicherung hat natürlich keine Lust, immer weiter Geld zu zahlen, obwohl sie eigentlich genau dafür da ist. 

Außerdem lässt die Versicherung sich auch noch andere lustige Dinge einfallen. Einmal hat der Arzt das Formular nicht ganz richtig in den Drucker gelegt, so dass die Kreuzchen einen Millimeter neben den passenden Kästchen gelandet sind.

Daraufhin hat die Versicherung einfach das hier gemacht: NICHTS. 

Die Frau wartete dringend auf ihr Geld, weil sie natürlich trotz Krankheit alles Wichtige weiter bezahlen muss. Dem Vermieter, den Stadtwerken und der Telefongesellschaft ist es ja egal, ob sie ihr Geld zu spät bekommt. Das versteht die Frau auch, und es macht ihr große Angst, wenn sie nicht rechtzeitig bezahlen kann. 

Sie muss also immer genau aufpassen, wann sie zum Arzt geht und das Formular an die Versicherung schickt. Immer wieder muss sie anrufen und nachfragen. Das klingt eigentlich gar nicht schlimm, aber wenn man krank ist, scheint alles viel anstrengender als sonst. Und den Leuten  von der Versicherung sind die Menschen eigentlich egal. Jedenfalls glaubt die Frau das allmählich, weil sie ihr schon oft falsche Sachen erzählt haben, und sie sich darauf verlassen hat. Was sie nicht hätte machen sollen. 

Schneller gesund wird man von sowas auch nicht gerade.

Diesmal hat die Versicherung am Anfang eines Monats bezahlt. Das Geld ist für den Monat davor. Die Frau denkt sich nichts  Schlimmes dabei, denn wichtig ist nur, dass sie ihre regelmäßigen Rechnungen - wenn auch mit ein paar Tagen Verspätung - endlich bezahlen kann.

Dann muss sie zu dem Amt, das für das Hartz IV zuständig ist. Dort muss sie alles vorzeigen, was mit ihrem Geld zu tun hat. Das Amt muss ja wissen, ob sie nicht schwindelt und von irgendwo her Geld bekommt, so dass sie gar kein Hartz IV kriegen darf. 

Der Mann auf dem Amt sagt ihr, dass sie ja diesen Monat schon Geld bekommen hat und deswegen nichts mehr kriegt. Die Frau erschreckt sich fürchterlich. Sie sagt, dass dieses Geld schon verbraucht ist - es war ja  für den letzten Monat. Das interessiert zwar den freundlichen Mann, aber nicht das Amt. Der Mann findet das auch ungerecht, er kann aber nichts machen. 

Und das, liebe Kinder, liegt am Zufluss-Prinzip. Das Geld ist der Frau in  dem Monat "zugeflossen", in dem sie dieses blöde Hartz IV beantragen musste, und dem Gesetz ist es egal, für wann das Geld gedacht war. 

Aber was ist mit den Menschen, die dieses Gesetz gemacht haben? Das fragt die Frau sich immer öfter.

Montag, 30. Mai 2016

Willkommen im Hartz

Heute war also der Tag, vor dem ich mich die ganze Zeit so gefürchtet habe. Der Tiefpunkt. Oder so hat es eine Jobcenter-Mitarbeiterin in einer Fernseh-Reportage bezeichnet. Darin wurde eine Gruppe Langzeitarbeitsloser über mehrere Monate begleitet und erzählt, was die so erlebt haben in dieser bitteren Lage. Ist schon ein paar Jahre her, dass die Sendung lief. Das war, als das Thema noch jemanden interessiert hat. Also jemanden außer den Betroffenen. Heute ist ja der Arbeitsmarkt so supi, dass diese Menschen, zu denen ich nun auch wieder gehöre, nicht mehr groß erwähnt werden. Wir sind die Abgehängten, Vergessenen, Schwervermittelbaren. 

Was den Tiefpunkt angeht: In der erwähnten Reportage wurde einem Mann mittleren Alters, der eine gute Ausbildung und einen beachtlichen Berufsweg hinter sich hatte, mitgeteilt, er sei ja nun ganz unten angekommen und habe gar nichts  mehr zu wollen. 

Vor sowas hatte ich Angst. Ich bin heute mit dem festen Vorsatz zum Amt gefahren, mich ganz sachlich-höflich zu verhalten und nicht sofort wieder auf jede blöde Bemerkung anzuspringen. Oder mir anmerken zu lassen, wie klein und schrecklich ich mich fühle. Da ich vor lauter schlimmen Zukunftsvisionen seit Wochen nicht mehr richtig schlafen kann, würde das vielleicht klappen. Wenn  man sich so halb in Trance befindet, sind die Reaktionen ja eher verzögert, und in dieser Verzögerungsphase kann der Verstand eingreifen. Hoffte ich.

Als ich in die Straße einbog, wurde mir die Ironie der Situation bewusst: Schräg gegenüber vom Jobcenter ist eine  renommierte Werbeagentur, in der ich in meiner letzten beruflichen Position so manches Mal als Kundin im Taxi vorgefahren bin. Nun bin ich buchstäblich auf der anderen Seite gelandet. Die Straßenbahnlinie führt in eine Gegend, in der heftige Gentrifizierung stattgefunden hat und noch immer stattfindet. Um  diese Uhrzeit - morgens zwischen acht und neun - sind die Angestellten in ihre diversen Kreativ- und sonstigen Unternehmen unterwegs. Man könnte mich glatt für eine von ihnen halten. Wenn man nicht so genau hinschaut. 

Vor dem Gebäude angekommen, pralle ich regelrecht an der Warteschlange ab. Die Sprechzeiten wurden rigoros zusammengekürzt und Stellen abgebaut, weil ja der  Arbeitsmarkt brummt - siehe oben. Die nicht mitbrummen können, haben sich hier eingefunden. Mir fällt auf, dass viele extrem fette und extrem magere Leute in der Schlange stehen, vom Leben geschlagen sehen sie alle aus, ob dick oder dünn. Ich gebe zu, dass in mir eine Stimme immer noch darauf beharrt, dass ich doch nicht "zu denen" gehöre. Stimmt aber nicht - momentan gehöre ich hierher. Weiter fällt mir auf, dass zumindest  im Eingangsbereich die Jobcenter-Mitarbeiter nicht viel anders aussehen als wir, ihre "Kunden". 

Ich bin endlich an  der Reihe und sage, dass ich heute meinen Antrag abgeben möchte. Ich muss meinen Ausweis  vorlegen. "Sie leben allein", sagt die Frau am Schalter. Ich sage nichts, es war ja keine Frage. "Was ist denn nun,  leben Sie allein?!" "Ja.". "Gut, dann gehen Sie bitte zum Wartebereich. Sie werden dann aufgerufen."

Mach' ich. Es dauert gar nicht lange, bis eine Frauenstimme meinen Namen durch das Foyer trompetet. Das Recht auf Diskretion haben wir wohl auch verloren. Die Mitarbeiterin geleitet mich zu ihrem Schreibtisch. Dann muss ich wieder meinen Ausweis vorzeigen, und die erste Frage ist: "Sie leben allein?". Seufz. Ich antworte wahrheitsgemäß. Dann schaut sie sich die ausgefüllten Formulare an, behält einen Teil und schickt mich zur nächsten Station.

Ich gehe zuversichtlich zum Fahrstuhl, und in wenigen Sekunden hat sich hinter mir eine lange Schlange gebildet. Es gibt zwei Aufzüge, aber der zweite ist schwer zu finden, und außerdem fahren sie jeweils unterschiedliche Etagen an. Mir ist etwas bang, denn wenn es richtig eng wird, krieg' ich schon mal den einen oder anderen Panikanfall. Wir kommen aber heil im dritten Stock an.

Ich setze mich in den entsprechenden Wartebereich und  werde bald in ein Büro gerufen, diesmal von einem Mann, der schon auf den ersten Blick intelligent und freundlich aussieht. Und mich so anschaut und anspricht, als würde er mir dasselbe unterstellen.

Er erklärt mir,  was heute alles erledigt wird und fragt als erstes nach einem der Formulare, die seine Kollegin unten einkassiert hat. Ich suche trotzdem gründlich danach und sage dann, dass ich es unten abgegeben habe. "Sie hätten es  aber eigentlich mitbekommen müssen." Das ist so ein Satz, wo ich grundsätzlich nur schwer an mich  halten kann. Am liebsten würde ich mit "Hätte, hätte - Fahrradkette!" antworten, aber das wäre hier kontraproduktiv. Außerdem ist der Herr, bei dem ich im Büro sitze, zu nett - der hat das nicht verdient, beschließe ich. Nun fragt er gleich noch nach dem zweiten Zettel, den seine Kollegin ebenfalls behalten hat. Wenigstens glaubt er mir das, und er entschuldigt sich tatsächlich für das Durcheinander. Ich bin baff.

Dann fragt er noch, ob ich allein lebe. Das kann mich nicht mehr überraschen.

Wegen der fehlenden Zettel können wir nun nichts weiter tun, also schickt er mich zur dritten Station meiner heutigen Wanderung - zu meiner persönlichen Berufsberaterin. Gleich will mir wieder eine zynische Bemerkung entschlüpfen, aber ich habe mich sowas von im Griff! 

Also weiter in den sechsten Stock. Ich setze mich vor das im Laufzettel angegebene Büro, es ist eng und stickig auf dieser Etage. Zwei Stühle weiter wartet ein junger Mann mit afrikanischem Migrationshintergrund (hört sich das blöd an? ja, das hört sich blöd an). Der hat so eine sympathische Ausstrahlung, dass ich probeweise  sage: "Wär' es  nicht  schön, wenn jetzt jemand mit Kaffee vorbei käme?" Er antwortet mit einem Lachen: "Und noch schöner wär' Kuchen dazu!". Also unterhalten wir uns ein bisschen. Die Plauderei versetzt mich in gute Laune, da der junge Mann lustig und eloquent ist und außerdem eine Story mit Happy End zu berichten hat: Er hat gerade einen Job gefunden. Kaum habe ich ihm gratuliert, da werde ich herein gerufen.

Hinter einem total chaotischen Schreibtisch sitzt meine persönliche Beraterin zwischen lauter Pflanzen und Postern und guckt die ganze Zeit in ihren PC-Monitor. Sie sagt als erstes: "Sie leben allein." Woher kommt die Besessenheit mit diesem Thema? Dann fragt sie, ob ich vor der Antragstellung gearbeitet habe,  oder ob ich krank gewesen sei. Ich sage, dass ich auch noch weiter krank sei und eine Krankmeldung  dabei habe - ob sie die sehen wolle. Ihre Antwort: "Damit kann sich der medizinische Dienst befassen, wenn Sie behaupten, Sie seien arbeitsunfähig." "Mein Arzt behauptet das auch", sage ich. Kann ich mir einfach nicht verkneifen. Ich muss noch mehrfach wiederholen, dass ich eine Bescheinigung vorlegen kann, bis sie das endlich hört. Daraufhin reißt sie mir förmlich das Attest aus der Hand und sagt, ich sei dann hier fertig. Ich solle nochmal 'runter zum Herrn Dings gehen.

Wieder bei meinem Leistungs-Sachbearbeiter angekommen, der mir mit seiner zugewandten Art nun schon fast wie ein rettender Hafen erscheint, muss ich nicht mal mehr warten. Seine Tür steht offen, und er bittet mich herein. Dann händigt er mir ungefähr drei Zilliarden Blätter aus, die ich bis zum nächsten Termin  alle ausgefüllt und mit etlichen Anlagen versehen wieder mitbringen soll. Er erläutert mir alle wichtigen Punkte, und dann darf ich Fragen stellen.

Offensichtlich wichtigste Frage: Wie lange dauert es, bis der Antrag bearbeitet wird und mein Geld auf dem Konto landet? Der Termin für die Abgabe dieser Unterlagen ist erst in einer Woche, das dauert also schon alles länger als erwartet. Was passiert mit meinen Festkosten, die vom Konto abgebucht werden? Gibt es die Möglichkeit einer Abschlagszahlung, wenn der Antrag grundsätzlich bewilligt wird? Nein, nein und nein - sowas gibt es nicht. Gab es mal, aber alles ist leider verschärft worden (sagt der Herr Sachbearbeiter mit diesen Worten), und wenn ein wirklicher Notfall vorliegt, könne ich einen Lebensmittelgutschein erhalten. Ich wüsste zu gern, was  passiert, wenn  ich meine Stromrechnung mit einem Lebensmittelgutschein zu zahlen versuche. 

Jedenfalls ist nun für heute alles getan, und ich darf nach fast zwei Stunden wieder heimwärts ziehen. Es hätte schlimmer sein können. Es ist trotzdem schlimm.

Und das nächste Mal hänge ich mir ein großes Schild um, auf dem steht: Ehe Sie fragen - ICH LEBE ALLEIN. 



Dienstag, 26. April 2016

Me, myself and I

Depression: "Did you notice that your dad has called again? And as usual he didn't bother to leave a message. So it cannot be that important, right? Why return his call? You told him before that you are having a tough time and that you would call. He never listens. You told him before that you cannot talk to him when you are in this state. (MY state, hehe) He just doesn't take you seriously. It is all about him and his needs, isn't it? You are perfectly right not to call him back and to be bitter about your weird relationship. It will never be the way you want and need it to be. So why bother?"

Sane self: "My dad does what he can. He worries about me - he even told me so in his own, awkward way. He may not have been  the best dad - actually he was not dad material to begin with - but it was not his fault and it was not his intention. And he is trying. That he keeps calling me even when I tell him he shouldn't actually means a lot to me."

D: "Oh really?! Isn't it pathetic that your old dad is  the only man who calls you "my darling girl"? Doesn't that make you cringe? Admit it already!"

S: "So what! At least someone calls me darling. There must be gazillions of people who are yearning to hear these words from their mom or dad. I longed to hear them for almost all my life and now I get to.

My phone rings and I almost drop the pan I was about to set on the cooker. I answer the call and hear the voice of my oldest friend from school. We never see each other despite living in the same city  but we stay in touch. Mostly she is the one who calls if I have not contacted her in a while. I tell her that I am just cooking dinner  and will call her back. 

D: "So she keeps calling you - I wonder why. Do you remember how many times you have mentioned that you two could meet up and she never takes you up on it? Maybe she just calls  to calm her conscience. Or maybe to be a good Christian - you know she is a believer. Isn't that actually pathetic? Why would someone like you who is  a confirmed atheist keep up with a Christian, and a Catholic of all things? Can you even take her seriously? I don't buy that she is really interested in you. If she honestly liked you as a friend she would love to meet with you once in a while."

S: "Who knows why she doesn't want  to meet. Maybe I should ask her - I never did. I was too shy. But I remember that she told me once that she was afraid to drive in the dark. And some time later that she was afraid to drive in a neighbourhood that she wasn't familiar with. Maybe that has gotten worse? I will call her back and I will try to overcome my shyness and anxiousness and ask her. I am grateful that we are still friends. I always liked her,  I love talking to her and she is my only remaining connection to my childhood."

D: "Well, have it your way. I surely don't have to remind you that you don't have any talent for friendship, do I? People ALWAYS let you down. But as I said: Have it your way. You will see what comes of it. Apropos of friendship - I heard you talking to this friend who you met in the rehab clinic two years ago. Are you honestly still keeping up with the likes of her? She is not exactly your intellectual equal, is she?"

S: "She may not have an academic title but she is wise where it counts. She is listening to me when I am crying too hard to be even coherent and she is not giving up on me. Or on life itself, for that matter. She went through much of the same horrible stuff in her childhood as I did but she has resolved not to become a bitter old hag. And most times, we actually find lots of things to laugh about, and I am looking forward to seeing her again soon. Are you done yet?"

D: "Let me see....what about this internet crap that you seem to spend so much time with lately? You really call that "friendship", connecting on Facebook with people you haven't even met? I find that silly if not pathological. What does your infamous therapist have to say about it?"

S: "You won't believe it but I asked her the same question. Know what she said? Even if the connection is via the internet, the people are real, aren't they? When I am down in the dumps, connecting to them is sometimes all I can manage. And I am glad that I found such friends. So far, they haven't let me down once, they "get" me, and I don't feel like I have to go through all of this shit on my own. Not to forget: they are, each in her own way, some tough cookies, and I am prowd I may call them my friends. So there."

Me: "Well done, S! Thank you."

D: *Sniffs and retires to her cave (for now)*




Samstag, 2. April 2016

Mein erstes Mal

Nachdem ich feststellen musste, dass ich die gestrige Folge meiner Lieblings-Krimi-Serie schon kannte, bin ich auf Pro Sieben gelandet, und zwar mitten hinein in Heidis Brot und Spiele.

Ich schwöre, ich hatte mir das noch nie vorher angeschaut. Ich mag Frau Klum einfach nicht, auch wenn man vor ihrer Geschäftstüchtigkeit den Hut ziehen kann. Fand immer schon komisch, dass sie als Supermodel bezeichnet wurde, was sie natürlich nie gewesen ist. Und ich fand sie auch nie schön. 

Ich finde eine ganze Reihe berühmter und weniger berühmter Frauen schön - meine Heidi-Allergie ist nicht etwa dem Neid der Besitzlosen entsprungen. 

Also nun ahnungslos mitten rein in die schon fortgeschrittene Handlung. 

Erster Eindruck: eine Riesen-Dosis Anmut und Schönheit, die mich als Stil- und Modefan natürlich nicht unbeeindruckt lässt. Und die Mädchen, die in den ersten Minuten zu Wort kommen, finde ich erstaunlich sympathisch. Wenn auch unreif, aber das ist ihr gutes Recht. 

Was ich von dieser Sendung weiß, gipfelt in dem berüchtigten Satz mit dem Foto. Beziehungsweise ohne das Foto. 

Solch eines soll wohl nun entstehen, und zwar mit einem Beauty-and-the-Beast-Thema: Ein Mädchen hantiert mit einer Riesenschlange, und die anderen werden irgendwie drumherum drapiert. 

Das wird also DAS Foto dieser Folge. 

Die Mädchen tragen sehr wenig Stoff an ihren schmalen Körpern, in Form von Dessous, deren Stil mich an Marlene Dietrich im "Blauen Engel" erinnert. Wozu auch die Sepia-Tönung des Fotos beiträgt. 

Der besondere Reiz für den Zuschauer liegt zum Einen in der Verbindung von nackter Haut und Schlange - was nicht weiter überrascht - und zum Anderen darin, dass wir die Angst der jungen Frauen mit erleben. Welche kann am besten ihren Respekt oder gar Ekel vor den Riesenviechern nicht nur überwinden, sondern dann auch überzeugend verbergen? Großaufnahmen von zitternden Kinnen und Mündern werden gezeigt und Bemerkungen über die Zumutung dieser Inszenierung eingefangen. 

Eines der Mädchen heißt offenbar Fata, ich höre aber immer "Vater" und komme sofort auf "kesser Vater", wohl wegen der Blaue-Engel-Assoziation. Immer wieder komisch, auf welche abseitigen Pfade unser Hirn sich begibt, wenn es gerade nicht besonders gefordert wird. 

Die, deren Shooting ausführlich gezeigt wird, als ich gerade reingezappt habe, passt mit ihrem exotischen  Aussehen - Schlangentänzerin! kommt  mir sofort in den Sinn - ganz wunderbar in diese Szenerie, und natürlich hat dieses Mädchen die größte Angst vor der Schlange. Das Foto wird toll.

Und genau dieses Mädchen, dessen Namen wie auch die der anderen außer "Vater" ich sofort vergessen habe, gewinnt ein nagelneues Auto. Sie freut sich unbändig und genießt ihren Moment, während wir die beleidigten und giftigen Blicke der anderen - die ihr natürlich von Herzen gratulieren - genießen dürfen.

Amüsant, aber vor allem rührend finde ich, wie eine von ihnen mit der Logik und der Quengeligkeit einer Vierjährigen ausführt, dass die Gewinnerin ja gar keinen Führerschein habe, während man selbst ... also das schicke kleine Auto sei doch da ganz und gar am falschen Platz!

Zu meiner Überraschung stelle ich nun auch noch fest, dass ich Heidi Klums Umgang mit den Mädchen gar nicht so verabscheuenswert finde, wie ich erwartet hatte. Und auf welches Gefühl ich mich gefreut hatte, auf dass meine Vorstellung von dieser Sendung bestätigt werde. 

Im weiteren Verlauf geht es nämlich darum, dass eines der jungen Dinger nach Hause geschickt wird. Und dies nicht etwa, weil es kein Foto für sie gab, sondern weil sie ständig und sogar ernsthaft krank war. Das ist - obwohl es in GNTM darum ja zuletzt geht - tatsächlich ein gutes Argument, warum sich jemand nicht für diesen Beruf eignet. Sei dem wie es sei, in dieser Sequenz ist Heidi ganz und gar freundlich-sachlich und verantwortungsbewusst. 

Die Entscheidung ist aber dennoch ein Anlass für Drama und Hysterie, und zwar bei den übrigen Mädchen und dem Fotografen. Der findet die passenden Worte, sein Herz ist gebrochen, dies ist eine Tragödie, daran wird er noch sehr lange zu knabbern haben und immer so weiter. "Reality-Check!" möchte ich in den Fernseher rufen.

Dann kommt endlich das große Finale, wo ein wirklich schöner Einfall alle Mädchen in die gleichen Kleider hüllt, deren Schleppen durch lange Reißverschlüsse miteinander verbunden werden, so dass ein Reigen schöner Körper, umhüllt von roten flatternden langen Roben, entsteht, bei dem die "Tänzerinnen" sich aufeinander abstimmen und einander vertrauen müssen, damit sie nicht ins Stolpern oder gar zu Fall kommen. 

Danach wird jede Einzelne bewertet, und ich lerne, dass vor dem Vernichtungssatz noch einmal Spannung aufgebaut werden muss mit der Vorstufe, und die heißt: "Sabrina, Julia, Fata" - oder wer auch immer gerade zitternd vor Frau Klum und Konsorten steht - "ich muss Dir leider sagen, dass Du wackelst." 

Also jeweils eine kriegt immer gleich "ihr Foto", die andere muss ein paar Momente weiter zittern. Oder wackeln.

Aber dann! Fällt er endlich. Dieser Markenzeichen-Satz. 

Die ohne Foto schleicht hinaus zu den anderen Mädchen, die sich selbst und einander feiern. Eine kommt zu ihr und umarmt sie, und - zack - zoomt die Kamera brutal auf ihr halb verdecktes Gesicht, um die einzelne Träne einzufangen, die auf ihre zarte Wange kullert.

Warum habe ich über die zwei männlichen Akteure fast kein Wort verloren? Zu denen fällt mir einfach nichts ein. 

Es ist  durchaus möglich, dass ich nächstes Mal absichtlich einschalte.








Samstag, 5. März 2016

Ich bin im Kino gewesen (na, kennt jemand das Zitat?)

Um Zitate geht es nämlich - unter anderem. Ich habe mir endlich Hail, Ceasar angeschaut. Die Coen-Brüder zu lieben ist ja nun nichts Besonderes.

Aber wie sehr ich das Kino an sich liebe, hatte ich beinah' vergessen. 

Anfang der 50er Jahre dreht das große Capital Studio einen prächtigen Sandalenfilm à la Ben Hur, in der Hauptrolle Baird Whitlock (George Clooney) als römischer Legionär, der Jesus begegnet und wahrscheinlich nach dem Abspann den Job wechseln wird. Nicht Whitlock, wohlgemerkt, sondern der Römer.

Eddie Mannix (Josh Brolin), der sowohl im  Film als auch im Film alles zusammen hält, ist der Studio-Troubleshooter und wird kalt erwischt, als Clooney während der letzten Drehtage einfach verschwindet. Entführt - wie sich herausstellt - von einer Study Group aus lauter kommunistischen Drehbuchautoren (hatte McCarthy doch Recht?), die in einem luxuriösen Strandbungalow das System aushebeln wollen. Was erstmal recht unpolitisch darin gipfelt, dass sie Lösegeld für Clooney verlangen. Die Truppe steht unter der Führung eines weiteren  Filmstars (Channing Tatum als Kombi aus Gene Kelly und dem jungen Frank Sinatra), der sich als überzeugter Parteisoldat entpuppt und zuletzt von einem russischen U-Boot abgeholt wird. Beim Sprung vom Ruderboot verliert er das inzwischen gezahlte Geld bzw. rettet er lieber seinen neurotischen kleinen Hund. Liebe! (siehe unten)

Der Koffer mit den 100.000 Dollar versinkt im Meer, während ein weiterer Star (Scarlett Johansson als Esther Williams-Reminiszenz) in einem weiteren Handlungsstrang wie schaumgeboren aus demselben auftaucht, um dann aus großer Höhe mitten in einen Busby-Berkeley-Badenixen-Reigen wieder hineinzuspringen. Tumult und Durcheinander? Allerdings. 

Johansson ist schwanger, weswegen ihr Nixenkostüm sie arg zwickt, ganz im Gegensatz zu ihrem Gewissen. Verheiratet ist sie nämlich genau so wenig wie ganz sicher, wer der Vater ihres Ungeborenen sein könnte, und auch das soll Brolin irgendwie in Ordnung bringen. 

Darüber hinaus muss er sich um einen jungen, eher akrobatisch als rhetorisch begabten Westernstar (Alden Ehrenreich) kümmern, der vom Studioboss plötzlich als echter Schauspieler in einem Melodram eingesetzt wird. Vom Sattel in den Salon - nicht einfach für den armen Jungen. Sein neuer Regisseur ist Ralph Fiennes als näselnder, zunächst sehr geduldiger Brite. Die Lösung findet sich in einem extremen Eindampfen des Textes. Wenn der junge Mann selbst auch fürs Reden wenig Talent hat, wird er noch von sich reden machen. Er ist nämlich derjenige, der den Entführern auf die Spur kommt und in einem beherzten Einsatz Clooney an seinen Arbeitsplatz zurückschafft.

Ständig auf Brolins Fersen ist Tilda Swinton in einer Doppelrolle als Klatschkolumnen-Zwillingsschwestern. 

Zwischendurch findet er immer noch Zeit für einen Sprung in den Beichtstuhl, wobei selbst der Pfarrer seufzend anmerkt, so oft sei nun wirklich nicht vonnöten.

In der SPIEGEL-Kritik hieß es sinngemäß, der Film habe zwar großen Unterhaltungswert, aber keine Seele. Dem widerspreche ich ganz entschieden.

Selbstverständlich hat der Film ungeheuren Witz. Die Matrosen-Szene mit Channing Tatum als Solist z.B. ist großartig. Zunächst ist sie eine schwungvolle Tap Dance-Nummer zu einem Song, in dem das Ende des Landurlaubs beklagt wird und ganz besonders die Tatsache, dass es leider auf See "no dames" gebe. Die Nummer steigert sich bis zu übermütigen Pas de deux (würde man beim klassischen Ballett sagen), bei dem die schmucken Matrosen feststellen, dass Mann auch ohne "dames" jede Menge Spaß haben kann. Der Witz besteht natürlich auch darin, dass diese Szene im echten Hollywood von 1951 niemals möglich gewesen wäre. Und dass Channing Tatum einen schwulen Kommunisten spielt - das Schlimmste, was man sich in Hollywood damals wohl vorstellen konnte. Jedenfalls, wenn es öffentlich wurde. Was es unter keinen Umständen durfte, enter Eddie Mannix.

Der unterdessen dafür sorgt, dass das illegitime Kind von Scarlett Johanssen einen Vater bekommt. Allerdings unbeabsichtigt, denn zunächst soll sie ihr eigenes Baby adoptieren. Was wiederum auf das Schicksal von Loretta Lynn anspielt, die genau das in den 30er Jahren durchmachen musste. In dieser Geschichte jedenfalls heiratet die junge Frau, die nicht weiß, wer der Vater ihres Babys ist, spontan einen zuverlässigen Mann mit Namen Joseph. Und alles wird gut. Falls sie nicht nach Ägypten flüchten müssen.

In einer Szene ganz zu Anfang muss Baird Whitlock eine Textänderung lernen: aus "passion" wird "ardour" (bedeutet dasselbe, klingt aber gesprochen weniger ... leidenschaftlich). Clooneys Figur neigt nicht gerade zu tiefen Überzeugungen (jedenfalls, bis er den Kommunisten /Jesus in die Hände fällt), aber man sieht und hört ihn unwillig vor sich hin murmeln, dass "passion" ja wohl das bessere Wort gewesen wäre. Interesting, no? 

Und gehören etwa nicht Liebe und Leidenschaft dazu, wenn man für den besten Filmschnitt gar sein Leben aufs Spiel setzt? Indem man als Cutterin bei der Arbeit nicht nur raucht, sondern auch noch einen langen Schal trägt, der ähnlich dem von Isadora Duncan seiner Trägerin (Frances McDermond) fast zum Verhängnis wird, weil er sich in der Maschinerie verfängt. 

Geht es etwa nicht um Liebe und Glaube, wenn Mannix auf ein tolles Jobangebot verzichtet zugunsten des von ihm zu hütenden Flohzirkus? Wir müssen nur sein Gesicht sehen, während er dem Head Hunter dabei zuhört, wie der die Filmindustrie schlecht macht. Weil er so ein netter Kerl ist,  sagt er nicht sofort ab, aber wir wissen schon längst, dass er den Filmzirkus nicht aufgeben kann.

Sogar seine Ehefrau versteht das. Völlig entgegen dem Klischee von der ehrgeizigen Frau, die ins größere Haus und für ihre Kinder die bessere Schule will, zeigt der Film das Ehepaar Mannix in einer überraschend kleinen und bescheidenen Küche beim friedlichen Schwatz über Kinder und Karriere. Kein Funken Bosheit oder schwarzer Humor in dieser erstaunlichen Szene, die als - natürlich sorgfältig inszenierter - Einbruch der "wirklichen" Welt gelten kann. Bleibt nur noch anzumerken, dass Mannix' Familie auch ohne sein Troubleshooting funktioniert und ihm das nicht übel nimmt. Es reicht vollkommen,  dass er ein anständiger Kerl ist, der ab und zu zum  Essen nach Hause kommt.

Es gäbe noch unzählige wunderbare und komplexe Zitate und Anspielungen zu beschreiben. Dass Herbert Marcuse als Angehöriger der Kommunistentruppe seine eigenen Texte rezitiert zum Beispiel, oder dass Channing Tatum im Ruderboot mit seinen Genossen auf der Fahrt zum U-Boot aussieht wie George Washington bei der Überquerung des Delaware. Es macht aber viel mehr Vergnügen, die selbst zu entdecken. 

Wie ist das nun mit der Seele von Hail, Ceasar? Natürlich geht es um Liebe. Liebe zum Kino und all seinen verrückten Handwerkern, vielleicht zum Kino wie es einmal war, als es noch mit einfachen Mitteln große Geschichten erzählt hat und dabei ohne Computer auskommen musste. Als die Stars noch Geheimnisse hatten, ja: haben mussten, und nicht via Twitter oder Facebook vorgaben, sie seien genau wie wir.

Am schönsten verkörpert von George Clooney, der sich in einem Interview darüber freute, von den Coens zuverlässig immer als Idiot besetzt zu werden. Man könnte auch sagen: als reiner Tor, dem wir glauben, was er uns erzählt. Auch wenn er es selbst nicht versteht.






Samstag, 20. Februar 2016

Achtung - roh. Und: Buchtipp

Gestern Nacht konnte ich nicht schlafen - what else is new, right? - stattdessen habe ich die Autobiographie von Hilary ('ilary) Mantel gelesen. "Giving Up the Ghost". Ach was heißt gelesen: inhaliert. Eingesaugt. Ein bedeutender Teil handelt von Krankheit und Tod. Noch während der unverblümten Beschreibung ihrer eigenen Symptome und der Erkenntnis, dass sie diese selbst lange Zeit nicht ernst genommen hatte, fiel mir ein: Ich habe eine ganze Reihe meiner jetzigen - ja - Beschwerden - ach ja, wo kann ich mich hier mal beschweren? - beim ersten Arzttermin nach meiner OP und der Reha gar nicht erst erwähnt, weil die unter meine innere Rubrik "nicht der Rede wert" fallen. Ganz Ähnliches taucht im Buch auf. Hilary Mantel und ich - wie anmaßend. 

Andererseits, warum soll ich nicht in meinem eigenen Text mit ihr in einer Zeile wohnen dürfen? Sozusagen Tür an Tür. Detached. Ich bin ja auf eine Weise immer die naive Leserin geblieben, die ich als Kind war, und als solche finde ich - ohne zu suchen - in jeder Erzählung Parallelen zum eigenen Erleben. Vielleicht lese ich deshalb so gern Krimis,  weil ich da völlig von mir absehen kann. Where was I? Ach ja, das Gemeinsame. Da wäre zum Beispiel die Kindheit in einer Zeit und Umgebung, wo man sich eben nicht "anstellte". Nicht wegen seelischer und auch nicht wegen körperlicher Leiden. Während ich dies hier aufschreibe, werden übrigens meine Chakren in einem Frühjahrs-großputz gereinigt. Und zwar via Live-Webinar von Carol Tuttle, die ich unbedingt lächerlich finden wollte, was aber nicht klappt. Ich lausche ihren energischen-liebevollen Anweisungen, was ich mit meinen Chakren anstellen und welche Formeln ich dabei sprechen soll - atmen nicht vergessen - und imaginiere, wie meine spirituellen Führer und Schutzengel sich versammeln, um ab jetzt einfach ALLES möglich zu machen. Alles zu beseitigen, was bisher meine eigene Großartigkeit behindert hat, also um etwa Präsidentin von Amerika zu werden. Oder so zu schreiben wie Hilary Mantel. Heißt die andere Amtsanwärterin nicht auch Hillary? Das muss doch was bedeuten. Oder nicht. Frau Tuttle teilt mir gerade mit, dass nunmehr meine Chakren die alte Programmierung gelöscht haben und ich sie jetzt neu füllen kann. My soul is feeding wonderful colors into my root chakra even as we speak. Was mich für Frau Tuttle einnimmt ist, dass sie ohne die geläufige amerikanische Hysterie von ihrem eigenen Leidensweg erzählt, der mir Respekt abnötigt, und ich denke (nicht zum ersten Mal): Whatever works! Zu Deutsch: Wer heilt, hat Recht. Vergisst man mal die Sache mit den Engeln und Führern, sagt sie nichts anderes als alle geistigen Lehrer, die ich bisher kennen und respektieren gelernt habe: Konzentriere Dich auf das Hier und Jetzt; versuche, Dein eigenes und nicht ein fremdes Leben zu leben; lerne, Deine Gefühle ernst zu nehmen und vertraue darauf, dass die Erde Dich trägt. Leave your own footprint on this earth! So blöd ist das nicht. Bevor ich den Laptop aufklappte, habe ich einen Becher Wasser mit Natronpulver getrunken und dabei an meine Oma gedacht. Von der habe ich gelernt, dass das gegen Übelkeit hilft. Mir ist andauernd übel - so wie meiner Oma in ihren letzten Jahren. Obwohl ich gar keine Schmerzmittel mehr nehme. Obwohl ich welche nehmen möchte, denn ich habe genauso schlimme Schmerzen wie  vor meiner OP. Nur eben andere. Beim Arzt habe ich vielleicht nicht deutlich genug gesagt, WIE schlimm. Aber als ich eben vom Einkaufen kam - im Schneckentempo und heulend vor Schmerz und Empörung - dachte ich an Ms Mantel und ihre Erlebnisse mit ignoranten Ärzten. Ihre Krankenkarriere begann zu ihrem Unglück in einer Zeit, wo unbestimmte oder nicht leicht einzuordnende Symptome bei Frauen gern in eine Neurose umgedeutet wurden. Je mehr sich die Patientin dagegen zur Wehr setzte, desto beweiskräftiger schien ihr Verhalten für die Richtigkeit der Diagnose. Da geht's mir ja noch gut. Vergleichsweise. Aber die Schmerzen sind absolut fies. Und die Übelkeit. Habe ich vielleicht Magenkrebs, genau wie meine Oma? Ich habe mich bisher nie für eine Hypochonderin gehalten. Jetzt hoffe ich, dass ich eine bin. Jedenfalls in dieser Hinsicht. Als ich dreizehn oder vierzehn war, habe ich mir manchmal eine schwere Krankheit gewünscht, weil man nach meiner Kenntnis unweigerlich dünn wurde, wenn man lange genug schwer krank war. Aber was, wenn  ich dran sterbe? Was hätte ich dann vom dünn sein? Nachts lesen war damals nicht drin, meine Mutter erwischte mich jedes Mal. Also blieb nur nachdenken, bis ich vor Erschöpfung irgendwann einschlief. Eine schwere Krankheit schien nicht die Lösung für mein Problem. Das Problem: ich war fett. Sagte meine Mutter. Auf Fotos konnte ich später erstaunt feststellen, dass ich ganz normal aussah. Aber wenn meine Schwester und ich mal wieder 14 Tage lang von Grapefruit und schwarzem Kaffee leben  mussten, suchte ich nach Alternativen. Als wir Kinder waren, kamen wir fast jeden Tag mit Schrammen oder blutenden Knien vom Spielen zurück. Auch wenn es erstmal schlimm aussah und weh tat, heilte alles  wieder schnell, zur Not gab's ein Pflaster oder auch mal einen Verband. Also stellte ich mir als Kind vor, dass ich mir abends kurz vorm Zubettgehen ein scharfes Messer aus der Küche besorgen würde, um dann alle fetten Stellen - meinen  runden Bauch, die Oberschenkel und meine Wangen etwa - einfach abzuschneiden und zu verbinden. Bis zum nächsten Morgen wäre das bestimmt geheilt, und dann würde meine Mutter mich schön finden. Ich malte mir genau aus, wo ich mit Schneiden anfangen müsste. Dabei kamen mir dann doch Bedenken, was, wenn es sehr blutete und ein paar Verbände nicht reichten? Ich habe es jedenfalls nie wirklich versucht. Nur die Möglichkeit dazu eine ganze Weile in meinem armen kleinen dicken Kopf aufbewahrt.

Donnerstag, 18. Februar 2016

Andenken an Frau P.

Frau P. kann nicht schlafen. Es ist zu heiß, das ist das Eine. Und sie muss dauernd an die leere Hälfte ihres Bettes denken. Mühsam setzt sie sich auf und schaut sich um. Soviel Zeug. Was hat sich da bloß alles angesammelt. Als Willi noch da war, ist ihr das nie aufgefallen. Alles schien seinen Sinn zu haben.

Aber dann ist er krank geworden und gestorben. Wie konnte die Hausverwaltung auf die Idee kommen, mitten im Winter die Fenster auszutauschen? Und sie dann tagelang auf die neuen Fenster warten zu lassen, ohne Heizung und ohne Schutz. Wie konnte sowas sein? Damals hat Willi sich die Lungenentzündung geholt. Die Verwaltung hat eine Beileidskarte geschickt.

Sie kann sowieso nichts mehr dagegen machen. Willi und sie waren immer schon kleine Leute gewesen. Aber sie waren auch immer zufrieden und hatten nie etwas verlangt, was ihnen nicht zustand.

Sie denkt an die Sommer auf ihrem kleinen Balkon. Nebenan die alte Frau mit ihrer Enkelin und schräg unter ihnen das junge Paar. Mit denen konnten Willi und sie ein Schwätzchen halten, ohne auch nur ihre Sessel zu verlassen. Also eigentlich nur sie, Willi war kein großer Redner gewesen, und ein Schwätzer schon gar nicht. 

Wenn sie so drüber nachdachte, war die junge Frau jetzt wohl allein. Den Mann hatte sie schon lang nicht mehr gesehen. Sie hatte sie beide immer gern gehabt. Bei schönem Wetter war die Frau übers Balkongeländer geklettert und hatte ihre Wäsche im Garten aufgehängt. Dann hatten sie manchmal geplaudert, die Jüngere mit dem Wäschekorb unterm Arm, eine Hand über den Augen gegen die blendende Sonne und zu ihr nach oben lächelnd. 

Eigentlich schade - den Garten hätte man doch gut gemeinsam nutzen können. Hätte aber die Verwaltung bestimmt was dagegen gehabt. 

Einmal hatten alle Mieter zusammen ein Fest gefeiert. Das war vor der Sanierung, und bis auf drei Nachbarn waren alle dabei. Sie hatte es sogar geschafft, Willi nach unten in die "Disko" zu locken. Alle Türen standen offen, und ein paar Wohnungen waren regelrecht verwandelt worden - in ein großes Esszimmer, eine Bar oder eben eine Disko. Später am Abend war sogar die Polizei gekommen. Das war aufregend gewesen. Noch nie hatte sie was mit der Polizei zu tun gehabt. Naja, bis heute vielleicht. Mal sehen.

Sie wuchtet sich aus dem Bett. Wann ist sie so dick geworden? Innen drin fühlt sie sich ganz anders - mehr wie das ranke junge Mädchen, das mit Willi zum Tanz ging vor so vielen Jahren. Manchmal sieht sie beim Ausziehen unversehens ihre riesigen Kleider und erschrickt. Willi hatte sie aber bis zuletzt schön gefunden. Oder hatte er es ebenfalls nicht bemerkt?  

Sie hat lange versucht stark zu sein. Sie war tapfer gewesen und hatte sich sogar allein in das Café an der Ecke gewagt. Die Leute da waren nett zu ihr - es war wohl so ein alternatives Café. Jedenfalls musste man da nicht schick aussehen, um freundlich bedient zu werden. Die junge Frau von unten war Stammgast, das hatte sie ihr mal erzählt.

Einmal war sie ihr dort begegnet und hatte ihr eine Rose auf den Tisch gelegt. Sie weiß gar nicht mehr, was sie sich dabei gedacht hat. Die junge Frau war gerührt. "Das müssen Sie doch nicht", hatte sie gesagt. "Ich möchte aber." Dann war sie schnell 'raus gegangen und hatte sich gefragt, ob sie jetzt wohl wunderlich wurde. 

Die alte Nachbarin von nebenan war nun schon lange im Heim. Mit den neuen Mietern hatte sie nichts zu tun. Die wollten für sich sein. Konnte man ihnen ja nicht übel nehmen, am Anfang waren Willi und sie sich auch selbst genug gewesen.

Hätte sie sich ein paar Freundinnen suchen sollen? Nun war es jedenfalls zu spät. Kinder waren ihnen nicht vergönnt gewesen, dabei hatte sie sich welche gewünscht. Vielleicht wäre sie keine gute Mutter geworden. So wie ihre Mutter. Die hatte nie ein liebes Wort für sie gehabt. Aber Willi wäre ein guter Vater gewesen. Er hatte sowas Zuverlässiges. Und kein einziges Mal hatte er sie geschlagen oder auch nur angeschrien. Da hatte sie ganz andere Geschichten gehört. Er hatte so gern gelacht. Wenn sie doch nur noch einmal seine Stimme hören könnte.

Mühsam zieht sie sich ihren Morgenrock über. Erneut schweifen ihre Blicke durch das vollgestopfte Zimmer. Zuerst greift sie sich einen Stuhl. Sie öffnet die Balkontür und geht hinaus. Zwischen den Dächern sieht sie am Horizont einen hellblauen Streifen. Die ersten Vögel beginnen ihr Morgenkonzert. Sie holt den Stuhl, hebt ihn übers Geländer und lässt ihn fallen.

Nein, das ist noch nicht das Richtige. Den zweiten Stuhl nimmt sie in beide Hände und holt Schwung. Dann wirft sie ihn in den Garten. Als nächstes fliegen ein paar Blumenvasen hinunter. 

Die junge Frau von unten tritt auf den Balkon und schaut nach oben. "Frau P., ist alles in Ordnung bei Ihnen?"

Sie hat keine Lust zu antworten. Stattdessen holt sie ihre Trittleiter, hievt die übers Geländer und hört zufrieden, wie sie auf den Vorplatz scheppert. 

Es klopft an der Wohnungstür. Die junge Frau bittet sie aufzumachen. Sie reagiert nicht. Sie hört, wie sich die Schritte zögernd wieder entfernen.

Was kommt als Nächstes dran? Ein paar Tassen und Teller fliegen in den Garten. Nein, das ist nichts. Sie holt erneut etwas Großes. Es muss krachen.

Dann hält sie erschöpft inne. Sie geht an die Tür und öffnet. Die junge Frau ist noch auf der Treppe. "Frau P., was machen Sie denn?" "Ich mach' Krawall." Die junge Frau lacht. "Ja, das höre ich. Was haben Sie denn? Darf ich Hilfe rufen?" 

Sie überlegt. "Ja, es ist wohl Zeit." 

Ein paar Wochen später hört die junge Frau, dass Frau P. in der  Psychiatrie gestorben ist. Ach, denkt sie traurig, und nach einem Moment: Gut.






Donnerstag, 14. Januar 2016

Reha die zweite - erste Woche

Ich hatte vergessen, wie bürokratisiert hier alles ist, und wie schlecht die Kommunikation funktioniert. Nach meinem anfänglichen Triumph (neues Zimmer) bin ich unsanft daran erinnert worden.

Dazu kommt noch der Eindruck, dass ich zumindest einen Teil meines Gehirns bei der Ankunft an der Rezeption abgegeben habe. Ich bin jedenfalls so zerstreut, dass ich zum Beispiel jedesmal aufs Neue auf meinen Medikamentenplan gucken muss, weil ich mir partout nicht merken kann, wann ich was von der ganzen bunten Kollektion einnehmen soll. 

Reha geht ungefähr so: Man bespricht beim Erstkontakt mit dem Arzt, was alles an Anwendungen (Fachbegriff!) sinnvoll und gewünscht ist, und danach wird ein Behandlungsplan erstellt. Meine fröhliche Ärztin hatte mir versichert, dass ich trotz Zimmerwechsel ihre Patientin bleiben würde. Ein paar Tage später stellte sich das als erste von vielen Fehlinformationen heraus. Ich hatte mehrfach versucht sie zu sprechen, und hätte wen ganz anderes verfolgen müssen. Tja, dumm gelaufen, Zeit verloren.

Und warum wollte ich sie sprechen? Weil mein Behandlungsplan auf den ersten Blick sehr bescheiden, um nicht zu sagen: löchrig aussah. Mein wichtigstes Anliegen, nämlich psychotherapeutische Gespräche, tauchte überhaupt nicht auf, und ebenso wenig solch reha-typische Dinge wie Moorpackungen, Massagen, Entspannungsübungen. Jaja, lacht nur, Ihr Ahnungslosen. Wer schon mal monatelang unter höllischen Schmerzen gelitten und sich während dieser Zeit kaum bewegt hat, weiß, wie bedeutend solche Maßnahmen sein können. 

Zudem kann so ein Kliniktag sehr lang werden, besonders in der Anfangszeit, wenn man noch auf der Suche nach seiner passenden Krabbelgruppe ist.

In dieser Zeit rennt man sowieso mit starrem  Blick auf den Plan von einem Termin zum nächsten, und wer nicht schon einmal hier war, verirrt sich unweigerlich dabei oder wartet ewig auf den Aufzug. Von denen immer mindestens einer außer Betrieb ist. Dabei wechseln sie sich ab, damit jeder mal drankommt. Gutes Team, die Aufzüge.

Gestern knieten denn auch respektvoll mehrere Techniker vor einem der Fahrstühle nieder und hantierten mit einem geheimnisvollen Gerät mit Monitor und unzähligen Kabeln nebst einigem anderem Handwerkszeug. Der Erfolg dieser Anrufung bleibt abzuwarten.

Da ich das Verirren und Zurechtfinden im Haus überspringen konnte, hatte ich genügend Kapazitäten frei, mich um die Wunschliste meiner Anwendungen zu kümmern. Mit teilweisem Erfolg. Inzwischen habe ich gefühlte 35 neue Pläne bekommen, und jedesmal, wenn ich einen auf meinem Zimmer finde, sehe ich erstmal keinen Unterschied zum vorherigen. Dieses Phänomen wurde mir von Mitpatienten  - alle mindestens durchschnittlich intelligent - bestätigt. Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als Zeile für Zeile zu vergleichen, bis wir endlich die Neuerung gefunden haben. Heureka! Hier in unserem Paralleluniversum zählt das schon als mittelgroßes Erfolgserlebnis.  

Während, so stelle ich mir vor, ein Teil meines Gehirns sich irgendwo hinter der Rezeption in einem dunklen kuscheligen Ablagekörbchen ausruht, wird der verbleibende Rest also durchaus trainiert. Denn auch die Termintaktung erfordert eine Entwicklung geeigneter Strategien, damit ich immer rechtzeitig von A nach B komme und zwischendurch auch noch an den Mahlzeiten teilnehmen kann. Die sind aus Gründen der Inter-Patienten-Kommunikation nämlich extrem wichtig fürs seelische Wohlgefühl. 

Zu diesem essenziellen Thema mehr im nächsten Bericht. 

Jetzt muss ich erneut auf die Jagd nach meinem Stationsarzt gehen und ihn nochmals  ein bisschen  nerven. Das mache ich so lange, bis ich endlich meinen Wunschplan in den Händen halte. Das Schöne ist: er ermuntert mich sogar dazu. Ist für mich, die schon früh gelernt hat, sich nichts zu wünschen, auch eine gute Übung. 

Nachdem ich vorhin schon bei meinem fröhlichen Afrikaner war und dieser mir erklärt hat, dass heute Donnerstag und nicht, wovon ich ihn zu überzeugen versucht hatte, schon Freitag ist - freitags gibt's offiziell die neuen Pläne - ist dies heute ja erst mein zweiter Gang zum Stationszimmer. Alles im grünen Bereich. 

Und nachher geh' ich ins Schwimmbad und spiele mit einer Nudel. 






Sonntag, 10. Januar 2016

Reha, die zweite - Anreise

Jetzt bin ich tatsächlich schon wieder hier. Diesmal im Winter, nach einem Aufenthalt im Herbst und einem im Hochsommer. Ich habe nicht vor, alle Jahreszeiten durch zu exerzieren. Aber meine Bandscheiben kümmert das nicht weiter.

Trotz guter Vorsätze und genügend Zeit habe ich noch bis zur letzten Sekunde wahllos irgendwelches Zeugs in meinen Koffer geschmissen und war dann bei Ankunft des Taxis völlig k.o. Allerdings nicht vom Schmeißen, sondern vom Koffer in den Aufzug und an die Straße schaffen.

Immer noch und immer wieder bin ich überrascht von meinen geringen Kräften und der tiefen Erschöpfung. Wie schnell man so einen Zustand doch vergisst, wenn alles wieder gut funktioniert. Oder "regelrecht", wie die Ärzte sagen. Das habe ich bei der Befund-Erhebung im Krankenhaus gelernt. Da stand auch, dass ich orientiert und kooperativ sei. Stimmt, jedenfalls meistens.

Nun sitze ich also in der Rezeption und warte, dass ich auf mein Zimmer gebracht werde. Das Zimmer ist DAS entscheidende Moment für die Erfolgsaussichten in den nächsten drei oder sogar vier Wochen. Ein Pfleger holt mich ab, stemmt meinen Koffer und die Reisetasche und begrüßt mich herzlich. Er stammt - so rate ich mal - aus einem afrikanischen Land und ist ansteckend guter Laune. Auf seinen Vorschlag, mitsamt Gepäck erstmal ins Stationszimmer zu gehen und die "Aufnahme" zu machen, muss ich wohl unfroh geguckt haben, denn er fragt gleich, ob ich doch erstmal das Zimmer sehen möchte. Ich sage: "Bitte! Wenigstens einen kurzen Blick", und er versteht. Wir gehen also einen der Gänge 'runter, er schließt eine Tür auf und bittet mich herein. Ich schau mich einmal um und möchte am liebsten wieder abreisen. Er lächelt mich verständnisvoll an. 

"Schrecklich, ich weiß. Ist noch nicht renoviert, aber was soll man machen? Sie können ja gleich bei der Visite fragen, vielleicht haben Sie Glück und können wechseln." 

Er breitet eine Menge Formulare vor mir aus und erklärt - und sofort ist mir die ganze Prozedur der Aufnahme wieder gewärtig. Wenn ich das nicht alles schon kennen würde, wäre ich jetzt sehr verwirrt und bestimmt überfordert. 

Dann verabschiedet er sich mit den Worten: "Frau Doktor kommt gleich; so lange ruhen Sie sich einfach ein bisschen aus. Wenn Sie irgendwas brauchen, klingeln Sie. Dann komme ich sofort."

Ich setze mich auf das Bett - ein klassisches altes Krankenbett - und der Raum scheint jede Sekunde hässlicher zu werden. Meine Enttäuschung fixiert sich schließlich auf den alten Röhrenfernseher im Mikroformat. Ob es wohl ein Opernglas dazu gibt? Was für eine Frechheit. Ich lege mich auf den Rücken und starre an die Decke. 

Trotzig verweigere ich das Auspacken. Die Visite lässt auf sich warten. Ich döse vor mich hin, zwischendurch immer wieder von Frust und Empörung gepackt. Dann überlege ich erfolgversprechende Sätze, mit denen ich die Ärztin dazu bringen könnte, mir ein anderes Zimmer zu geben.

Zwischendurch melden sich diese kleinen Wut-Dämonen mit dem Vorschlag, die Ärztin anzubrüllen oder in der Rezeption einen Aufstand zu machen. Klar - das wird bestimmt klappen!

Jetzt könnte die endlich mal auftauchen. Die Mittagszeit hat auch schon angefangen. Der Pfleger schneit herein und meint, ich solle ruhig zum Essen gehen. Er würde Bescheid sagen, dass die Ärztin auf jeden Fall noch zu mir kommt.

Nach dem Essen dauert es tatsächlich nur noch einen Moment, bis die Ärztin klopft. Sie war mir bei meinem letzten Aufenthalt schon aufgefallen, und zwar durch ihre fröhlich Ausstrahlung und ihren leicht punkigen Kleidungsstil.

Sie begrüßt mich, und ich sage: "Bevor wir richtig anfangen: ich finde das Zimmer ganz schrecklich. Ich weiß nicht, wie ich hier auch nur drei Tage aushalten soll, geschweige denn drei Wochen." Ich lege einen leicht verzweifelten Ton in meine Stimme. "Was finden Sie denn so schlimm?" "Die ganze Atmosphäre ist so bedrückend", und dann sage ich blöderweise was über den Fernseher. "Das ist nun leider kein medizinischer Grund für einen Wechsel." Ich will schon enttäuscht verstummen, als mir auffällt, dass ihre Mundwinkel ein bisschen zucken.

"Wissen Sie, wenn ich hier bleiben muss, wird meine Depression sich rasant verschlimmern." "DAS ist ein medizinischer Grund!" ruft sie lobend. "Einen kleinen Moment, ich frage bei der Verwaltung, und wenn es was gibt, dann schauen wir uns das gemeinsam an, und wenn es Ihnen auch noch gefällt, dann ziehen Sie um." 

Ich kann es kaum fassen, aber erstmal muss ich natürlich Option Nr. 2 sehen. 

Zusammen mit dem fröhlichen Afrikaner ziehen wir im Gänsemarsch in die nächsthöhere Etage und landen in einer Parallelwelt. Meine Ärztin erzählt: "Hier ist alles schon renoviert, und unser oberster Boss liebt intensive Farben, und Rot und Gelb haben's ihm scheinbar angetan. Sieht bisschen aus wie ein Edelpuff, wenn Sie mich fragen." Sie hat nicht unrecht. Wohlwollend würde ich das Design als eigenwillig bezeichnen. Der Pfleger schließt eine Tür auf. Nun kommt der entscheidende Augenblick. Ich trete ein und bin sofort wie erlöst. Mein neues Zimmer ist viel freundlicher und hat ein modernes Duschbad - und einen mittelgroßen Flachbildschirm-Fernseher.

Alles wird gut.






Mittwoch, 23. Dezember 2015

Liebes Christkind....

....Du wirst Dich nicht erinnern - ich bin die, die als kleines Mädchen immer so Briefe an Dich geschrieben hat, die .... naja, man könnte sagen: überdesignt waren. Ich habe unglaublich gern gemalt und gezeichnet, und in der Weihnachtszeit konnte ich mich überhaupt nicht mehr bremsen. Jede nur denkbare Oberfläche wurde mit Tannenzweiglein, Kerzen, Sternen, Krippen, Christbäumen und natürlich mit Porträts von DIR und Deinen Eltern verziert - wenn  ich sie mal so nennen darf.  

Die Wünsche waren recht bescheiden aus heutiger Sicht. Ich habe mir wohl die eine oder andere Barbie-Puppe gewünscht und dann endlich eine Petra bekommen. Das war die Billig-Version, aber immerhin. 

Ich hatte immer schon mehr Vertrauen zu Dir als zu diesem etwas anrüchig erscheinenden alten Kerl aus dem Hause Coca Cola. Was hatte der denn mit Weihnachten und dem Jesuskind zu tun?!

Wobei auch Du mich in einige Verwirrung gestürzt hast. Das Jesuskind war doch ein Junge, Du aber ganz bestimmt ein Mädchen - jedenfalls in meiner Vorstellung. Und zwar ein sanftes, blondes mit blauen Augen und einem leuchtend weißen Nachthemd. Und Flügeln. Natürlich goldenen. Nicht mal meine Oma, der ich in meiner Erinnerung die gesamte Vorweihnachtszeit nicht  von der Seite wich, und die in solchen Dingen Autorität besaß, konnte mir das so  richtig erklären. Stattdessen hat sie mit uns Weihnachtslieder gesungen und unzählige Bleche Plätzchen gebacken. Draußen wurde es langsam dunkel, die ganze Wohnung duftete nach Vanille, und meine Schwester und ich lümmelten auf den Küchenstühlen - zwar mit leicht verstimmten Mägen vom Teig naschen, aber rundum glücklich. Bis meine Mutter von der Arbeit kam - dann wars meist vorbei mit Frieden und Freude.

Kannst Du mir meine Schwester zurückschicken? Geht nicht, stimmt's? Das war mir natürlich klar. Aber weißt Du, je länger sie tot  ist, desto mehr fehlt sie mir. Heißt es nicht, dass die Zeit alle Wunden heilt? Das ist nicht wahr. Es stimmt wohl, dass der Schmerz nicht mehr so schnell und kalt durch mich fährt wie damals. An seiner Stelle ist seither ein mal sanftes, mal heftiges Ziehen - wie von einem schwarzen Loch, dass mich in sich hineinzieht. Als würde ich mich dort hinein stülpen und in mir selbst verschwinden wollen. 

Aber ich habe ja nun mal beschlossen, hier zu bleiben, und mir fehlt vielleicht nicht nur meine Schwester, sondern weibliche Kameradschaft - eine Freundin, mit der ich über dieselben Sachen lachen kann, die weiß, wie ich ticke und das sogar schön findet. Eine, mit der ich einfach mal spontan Kaffee trinken oder ins Kino gehen kann. Und einen Einkaufsbummel machen! Das ist sowas Ur-Weibliches und war eine der letzten schönen Sachen, die ich mit Ute unternommen habe, bevor der Krebs zurückkam und  sie mir geklaut hat.

Also: vielleicht wünsche ich mir eine richtige Freundin? 

Das kriegst Du hin, oder? 

Alles Liebe und danke schon mal,

Deine Karin.




Montag, 21. Dezember 2015

Oh Du fröhliche....

Einkaufen kurz vor Weihnachten ist eh' Stress, und ganz besonders, wenn man gerade aus der Klinik entlassen wurde und alles noch ungewohnt langsam geht. Dazu umschwebt einen die ständige Angst, dass man angerempelt wird und / oder einen jemand auf den frisch operierten Rücken haut. Nicht, dass ich regelmäßig auf den Rücken gehauen werde, aber man entwickelt die seltsamsten Ängste  in so einer Lage. 

Ich habe mich heute in diverse Einkaufs-Etablissements gewagt, weil es einfach nicht mehr zu vermeiden war. Die Speisekammer gähnte leer, und auch das Badezimmer verlangte nach diversen Materialien, die weder anders beschafft werden noch ohne Weiteres selbst hergestellt werden konnten. Dieser Tage wäre Dienst-Personal eine große Erleichterung. Aber erstens sind die Zeiten vorbei, als man welches hatte, und zweitens hätten Leute meines Standes zu gar keinen Zeiten über Butler und Dienstmädchen verfügt. Also völlig sinnfreie Überlegungen. Aber ach - eine schöne Phantasie! 

Stattdessen schleiche ich durch den Drogeriemarkt, froh, dass er nicht allzu voll ist. An der Kasse konzentriere ich mich darauf, meine Sachen zu verstauen und staune selbst zum wiederholten Mal, wie kraftlos und langsam ich mich dabei anstelle. Plötzlich erfasst mich ein Unbehagen. Ich blicke auf und direkt in die hasserfüllten Augen der Kundin, die nach mir in der Schlange stand. Sie starrt mich wirklich an. Und hört auch nicht damit auf, als ich zurück gucke. Mit fragendem Gesichtsausdruck, wie ich annehme. Sie sagt weiterhin kein Wort. Also frage ich nach. Es geifert aus ihrem Mund: "Ich warte drauf, dass Sie E-N-D-L-I-C-H Ihr Zeug einpacken, damit ich meins nach unten schieben kann!"

"Das können Sie ruhig tun, ich werde schon nichts nehmen, was mir nicht gehört. Und übrigens: Ein Wort von Ihnen hätte genügt." Darauf die Frau zur Kassiererin: "So eine Unverschämtheit. Unglaublich, was es für Leute gibt!" Kassiererin: "Fragen Sie mich mal, ich muss noch bis acht Uhr hier sitzen."

Gemäß meinem neu gefassten Vorsatz verschwende ich keine weitere Energie, packe zu Ende ein und verlasse den Markt. Nicht allerdings, ohne mir die  Frau nochmal anzuschauen. Mit ihrer unvorteilhaften Dauerwelle erinnert sie mich an einen Drahthaarterrier - jederzeit bereit zu kläffen und zuzuschnappen. Nur dass die mir bekannten Terrier keinen dunkelroten Konturenstift und orangen Lippenstift kombinieren. Okay, das war jetzt auch nicht besonders nett, aber hier passt das Aussehen einfach so gut zum Verhalten....offenbar gehört sie zu den Ewig-Zu-Kurz-Gekommenen, die der Ansicht sind, die Welt schulde ihnen noch was und solle ihnen auch gleich die Wünsche von den Augen ablesen. 

Mich reizt diese Sorte Mitmensch ganz besonders, und warum wohl? Weil ich mich zu einem Teil wiedererkenne, denn so bin auch ich lange Zeit durch die Welt gestapft. Ich habe sogar diejenigen brüskiert, die es wohl gut mit mir meinten. Ich habe alle für mein Unglück bestraft und nicht gemerkt, dass die Strafe mich selbst am meisten traf. 

Ziemlich sicher sah diese Frau sich in ihrer Einschätzung bestätigt, dass die Welt aus lauter schrecklichen Egoisten besteht, die den größten Spaß daran haben, ihr das Leben schwer zu machen. 

Ich erinnere mich gut, dass man sogar daraus ein bitteres Vergnügen ziehen kann, wenn schon sonst nichts Vergnügliches weit und breit in Sicht ist.

Und ich bin froh und dankbar dafür, dass mir ein paar Menschen geholfen haben, diesen üblen Automatismus zu verstehen und zu durchbrechen. Und langsam kann ich auch annehmen, dass sich ohne meinen eigenen Mut, meine Entschlossenheit und meinen Humor dennoch nichts geändert hätte. 

Sollte es jetzt womöglich doch noch losgehen mit der Selbstakzeptanz? ("Selbstliebe" kann ich immer noch nicht hinschreiben. So, jetzt doch.)